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im Laufe ihrer Gesamtbiographie einnimmt. (Auch) am Umgang mit den betagten<br />
Menschen, so könnte eine Schlussfolgerung aus der Lektüre von Beauvoir (und,<br />
so sei hier hinzugefügt, dem <strong>Dokument</strong>arfilm, der unter ihrer Anleitung in französischen<br />
Altersheimen gedreht wurde) bzw. aus diesem Vortrag lauten, zeigt sich<br />
die Humanität einer Gesellschaft.<br />
Die nach ihr sprechende Sozialpsychologin Josiane Pinto, die an der Université<br />
Paris 7 Denis Diderot lehrt und forscht, nahm einen kritischen Standpunkt zu<br />
Beauvoir ein: Deren Forschungen fehlten die empirischen Grundlagen, und sie betrachte<br />
die Welt um sie herum – darunter nicht zuletzt die Frauen – von einer elitärintellektuellen<br />
Position aus. Dennoch: »Das andere Geschlecht« sei zu einer »symbolischen<br />
Bank des Feminismus« geworden und Simone de Beauvoir die erste<br />
Intellektuelle, die die Frauenfrage in den Mittelpunkt gerückt habe. Im Anschluss<br />
ging Josiane Pinto auf ihre eigenen empirischen Forschungen ein, die sie in Kooperation<br />
mit Pierre Bourdieu zur sozialen Stellung der Sekretärinnen durchgeführt hat;<br />
diese beruhten zum einen auf quantitativen Recherchen, zum anderen aber auf einer<br />
Reihe an Interviews mit französischen Sekretärinnen selbst. Ziel dieser Forschungen<br />
sei es gewesen, den subtilen Formen von Macht, Herrschaft und Unterordnung<br />
näher zu kommen, die in den Relationen von Sekretärinnen zu ihrem jeweiligen<br />
Chef verborgen sind. Mit Blick auf Beauvoir betonte die Referentin, dass diese in<br />
ihrem Hauptwerk den Sekretärinnen einen besonderen Stellenwert beimesse; der<br />
Clou ihres Vortrags (der ihr in der Nacht zuvor ein- und aufgefallen war): Beauvoirs<br />
Vater selbst war Sekretär gewesen! Auch das stützte ihre Aussage über den Wandel<br />
der Stellung von Sekretär(inn)en in der Zeit: War dies früher eine männliche<br />
Domäne, so wurde »die Sekretärin« im 20. Jahrhundert zu einem typischen Frauenberuf.<br />
(Man denke allerdings auch an »Generalsekretäre« u. ä., die noch um die<br />
Jahrtausendwende von Männern gestellt wurden!)<br />
An diese Ausführungen konnte die Philosophin und Politologin Effi Böhlke,<br />
freie Mitarbeiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung und verantwortlich für die konzeptionelle<br />
und organisatorische Vorbereitung und Durchführung des Kolloquiums,<br />
unmittelbar anschließen. Sie stellte die These auf, dass Beauvoir einen originären<br />
Beitrag zum politisch-philosophischen Diskurs über Macht, Herrschaft<br />
und Gewalt geleistet hat, insofern sie, unter Verarbeitung der gesamten Geschichte<br />
der europäischen Philosophie, diesen sonst im Wesentlichen von Männern<br />
geführten Diskurs auf das Geschlechterverhältnis zwischen Männern und<br />
Frauen anwandte. Dabei arbeitete sie mit einer Denkfigur, die den Frauen selbst<br />
im Rahmen der Macht- und Herrschaftskonstellationen einen gewissen Subjektstatus<br />
zuweise, nämlich mit dem Begriff der »freiwilligen Knechtschaft«. Danach<br />
werden die Frauen von den Männern nicht nur einfach beherrscht und geknechtet;<br />
zu einem dauerhaften Funktionieren von Macht und Herrschaft gehört, Beauvoir<br />
zufolge, ein Mindestmaß an Mitmachen und damit Anerkennung dieser Relationen<br />
durch die Frauen. Was zunächst wie ein Vorwurf an die Frauen aussehen<br />
könne, so Effi Böhlke, an der eigenen Knechtschaft und Unterjochung zumindest<br />
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