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Monotonie) und, ganz allgemein, durch eine »gute Atmosphäre« (nicht vergiftet<br />

durch Kleinlichkeiten und Tiefschläge).<br />

Die Zustimmung zur Herrschaft – denn darum handelt es sich – ist ambivalent<br />

und von daher schwer zu analysieren: Das ist keine bewusste und durchdachte Entscheidung,<br />

sondern ein präreflexives Einverständnis mit einem sozialen Schicksal,<br />

das die gesamte Stufenleiter von Unterdrücktwerden bis Sichbeherrschenlassen umfasst.<br />

Die durch die erhofften Vorteile und die erduldeten Leiden hindurch sichtbaren<br />

Formen des Sichbeherrschenlassen sind verbunden mit den sozialen Trajektorien.<br />

Das Sprechen von sozialen Trajektorien bedeutet, den Rahmen der reinen<br />

Interaktion zu sprengen, wie ihn Beauvoir wählte, und zur Denaturalisierung dieser<br />

Beziehung beizutragen. Die Kenntnis der sozialen Herkunft gestattet ein psychoanalytisches<br />

Herangehen: Das bedeutet, von der frühen Kindheit zu sprechen, also<br />

von der Zeit, in der die künftige Identität gebildet wird. Die Bindung der Sekretärinnen<br />

an diese Beziehung der Abhängigkeit wird nur durch Bezug auf die durch diese<br />

zu erzielenden materiellen und symbolischen Profite verständlich. Genauer gesprochen<br />

rühren die psychologischen und sozialen Bedingungen ihres Einverständnisses<br />

mit ihrer Situation aus ihren Trajektorien. Hinzu kommt, dass der Chef, der häufig<br />

über mehr Bildungsabschlüsse und eine höhere Position in der sozialen Hierarchie<br />

verfügt als Vater oder Ehemann, insbesondere für die aus dem mittleren oder Kleinbürgertum<br />

stammenden und mit der Unternehmenswelt verbundenen Sekretärinnen,<br />

die ideale soziale Figur darstellt. Die Anhänglichkeit an den Chef, im zugleich beruflichen<br />

wie affektiven Sinn, impliziert die Anhängerschaft an ein bestimmtes<br />

männliches Modell: Der Chef bildet die sublimierte Form der Beziehung zu den<br />

männlichen Mitgliedern der Zugehörigkeitsgruppe.<br />

Sekretär und Chefin<br />

Die Eigenheit der Naturalisierung sozialer Beziehungen besteht darin, den sozialen<br />

und beruflichen Positionen geschlechtliche Eigenschaften zuzuschreiben. Die<br />

Sekretärin kann nur eine sehr »feminine« Frau sein, der Chef nur ein sehr »maskuliner«<br />

Mann. Daher sind gerade die Situationen besonders aufschlussreich, in<br />

denen »der Chef« eine Frau ist und »die Sekretärin« ein Mann.<br />

Gegen 1850 verkündete der Vater von Alexandre Dumas: »Tritt eine Frau in<br />

ein Büro ein, dann verliert sie ihre Weiblichkeit.« In der Tat bezeichnete der Terminus<br />

Sekretär zu dieser Zeit einen Mann, der mit Schreibarbeiten betraut war<br />

und oftmals auch die Rolle des zu Entscheidungen berechtigten Vertrauten spielte.<br />

Simone de Beauvoirs Vater selbst war Sekretär. 8 Noch heute hat die Berufsbe-<br />

8 »Er legte so geringen Wert auf ein Vorwärtskommen in einer bürgerlichen Laufbahn, dass er, nachdem er die<br />

nötigen Kenntnisse erworben hatte, nicht einmal seinen Doktor machte; er trug sich beim Appellationsgerichtshof<br />

ein und wurde Sekretär bei einem alteingesessenen Rechtsanwalt.« Simone de Beauvoir: Memoiren einer<br />

Tochter, a. a. O., S. 49.<br />

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