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mitschuldig zu sein, erweise sich bei näherem Betrachten als Aufruf an dieselben,<br />
sich aus ihrer »selbst (mit-) verschuldeten Unmündigkeit« zu befreien. Sodann<br />
verwies sie auf eine »verborgene Quelle« des Beauvoireschen Denkens, nämlich<br />
Etienne de la Boéties »Diskurs über die freiwillige Knechtschaft« aus dem 16. Jahrhundert,<br />
den Beauvoir sicherlich kannte, den sie aber nicht zitiert, sowie auf einen<br />
»verbergenden Rezipienten«, und zwar Pierre Bourdieu, der in seinem Buch über<br />
»Die männliche Herrschaft«, worin er dem Konzept der »freiwilligen Knechtschaft«<br />
den Begriff der »unfreiwilligen Komplizenschaft« zwischen objektiven<br />
und subjektiven Strukturen entgegensetzt, Beauvoir nur in einer Fußnote erwähnt.<br />
Männliche Herrschaft also auf dem Gebiet des Geistigen?<br />
Geneviève Fraisse, Philosophin und ehemalige Europaabgeordnete, theoretisch<br />
und praktisch-politisch immer wieder mit Fragen der Frauenemanzipation befasst,<br />
stellte den Begriff des Privilegs in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Tatsächlich<br />
habe Beauvoir eine privilegierte Stellung in der französischen Gesellschaft eingenommen:<br />
Sie sei Teil der geistigen Elite des Landes gewesen (was ihr, so sei hinzugefügt,<br />
jedoch nicht in die Wiege gelegt war; diesen Platz musste sie sich als Frau<br />
zunächst einmal hart erkämpfen, und sie musste ihn auch immer wieder verteidigen).<br />
Doch habe sie die damit verbundenen Chancen genutzt, sich für das »allgemeine<br />
Wohl«, hier der Frauen, einzusetzen. Und zwar zunächst theoretisch, später<br />
dann, ab den 70er Jahren, auch praktisch. Dabei sei für Beauvoir, so die Referentin,<br />
die Ich-Wir-Beziehung von entscheidender Bedeutung gewesen: So wie Beauvoir<br />
mit »Das andere Geschlecht« einen Essay über die Lage der Frau(en) verfasste, um<br />
sich selbst zu verstehen, so habe sie in ihren späteren autobiographischen Schriften<br />
sich selbst zum Gegenstand gemacht, um damit zugleich genauere Aussagen über<br />
die »condition féminine« treffen zu können. Ein vielfaches Verweisen also zwischen<br />
dem Ich und dem Wir. Letztlich, so betonte die Sprecherin, gebe es Beauvoir<br />
zufolge keine Unparteilichkeit: Jegliches Betrachten der Welt geschehe von einem<br />
bestimmten Standpunkt aus, und jegliches Handeln sei ein Handeln für und damit<br />
gegen etwas – selbst das Nicht-Handeln!<br />
Unter dem Titel »Pakt versus Ehe« ging Cornelia Hildebrandt, wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung, auf die Paarbeziehung ein, die Simone<br />
de Beauvoir und Jean-Paul Sartre gelebt und vorgelebt hatten und die zum Modell<br />
für eine ganze Generation von Frauen und Männern wurde. Was, so fragte die Referentin,<br />
aber hat Simone de Beauvoir überhaupt dazu gebracht, die traditionellen<br />
Muster von Ehe, Familie und Mutterschaft abzulehnen und mit ihrem berühmten<br />
Lebensgefährten den viel umstrittenen, ja man könnte sagen »sagenumwobenen«<br />
Pakt einzugehen, in welchem sie sich ewige Treue bei absoluter Freiheit beim Eingehen<br />
sog. kontingenter, also anderer (landläufig als »Seitensprung« bezeichneter)<br />
Beziehungen sowie vollkommener Transparenz darüber schworen? Warum lehnte<br />
Beauvoir das permanente Zusammensein mit Sartre ab und zog das Leben im eigenen<br />
Hotelzimmer oder, später dann, in ihrer eigenen Wohnung in der Rue Schoelcher<br />
vor? Warum lehnte sie, noch viel vehementer – wovon auch der am Abend zu-<br />
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