Artykuły - Zbliżenia Interkulturowe
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Refleksje<br />
Immerhin kann man sich vorstellen, wie<br />
ein eventuelles Unwort „Gammelfleisch“<br />
als Bezeichnung für die physisch nicht<br />
immer ganz so ansehnlichen Zuhälter<br />
und Mädchenhändler oder aber für „verbrauchte“<br />
Prostituierte eben doch akzeptiert<br />
und dann begründet worden wäre,<br />
(nehmen Sie es als Vorschlag für 1907,<br />
werte Herren von der Jury!).<br />
Das fiktive Beispiel macht ein Problem<br />
deutlich: Die jeweiligen „Unworte“<br />
sind an sich zumeist „unschuldig“ – erst<br />
der Kontext des jeweiligen Gebrauchs<br />
skandalisiert sie gegebenenfalls. „Gammelfleisch“<br />
für ausgebeutete Frauen wäre<br />
in der Tat blanker Zynismus; der „Frischfleisch“-Brutalität<br />
eines Zuhälters ein sarkastisches<br />
„Gammelfleisch“ entgegenzusetzen<br />
dagegen eine legitime und treffende<br />
Replik.<br />
Das Unwort des Jahres 2005 war<br />
„Entlassungsproduktivität“– das für<br />
2006 ist auch schon veröffentlicht; es<br />
heißt „freiwillige Ausreise“.<br />
Die Verkündigung des ersteren hat<br />
nur mühsam öffentliche Beachtung zu<br />
gewinnen vermocht und kaum jemand<br />
vermag sich gut ein Jahr noch auf das<br />
Wort zu besinnen. Der Verdacht drängt<br />
sich auf, dass sich sein Gebrauch auf einen<br />
sehr kleinen Kreis von Verwendern<br />
beschränkt – vielleicht sogar auf den der<br />
Jury selbst. Seinem aktuellen Nachfolger<br />
kann man gefahrlos eine ähnlich blamable<br />
Resonanz vorhersagen.<br />
„Entlassungsproduktivität“ bezeichnet<br />
nach den Worten des Unwort-Papstes<br />
Rolf Schlösser „eine gleichbleibende,<br />
wenn nicht gar gesteigerte Arbeits- und<br />
Produktionsleistung, nachdem zuvor<br />
zahlreiche für ,überflüssig’ gehaltene<br />
Mitarbeiter entlassen wurden. Es ver-<br />
58<br />
schleiert damit die meist übermäßige Belastung<br />
derjenigen, die ihren Arbeitsplatz<br />
noch behalten konnten, was oft auch mit<br />
dem ebenfalls beschönigenden Wort von<br />
der ,Arbeitsverdichtung’ umschrieben<br />
wird. Aber auch die volkswirtschaftlich<br />
schädlichen Folgen der personellen Einsparung,<br />
die Finanzierung der Arbeitslosigkeit,<br />
werden mit diesem Terminus<br />
schamhaft verschwiegen.“<br />
Verschleiern, beschönigen, schamhaft<br />
verschweigen – die Signalwörter dieser<br />
Begründung weisen die Richtung: Auf<br />
den Euphemismus, der (laut „Wikipedia)<br />
Wörter oder Formulierungen, die einen<br />
Sachverhalt beschönigend, verhüllend<br />
oder verschleiernd“ darstellt. Man erkennt<br />
unschwer die Quelle für Schlössers<br />
Begründung, und es kommt nicht von<br />
ungefähr, dass unter den Querverweisen<br />
zum Stichwort „Euphemismus“ auch das<br />
„Unwort des Jahres“ auftaucht.<br />
Als Euphemismus also wurde „Entlassungsproduktivität“<br />
auf die Anklagebank<br />
gesetzt, und das scheint seit jeher das<br />
zentrale sprachliche Kriterium der Jury zu<br />
sein, zumindest ist dies das tertium<br />
comparationis der langen Liste von inzwischen<br />
16 Unwörtern: Ausländerfrei,<br />
Ethnische Säuberung, Überfremdung,<br />
Peanuts, Diätenanpassung, Rentnerschwemme,<br />
Wohlstandsmüll, sozialverträgliches<br />
Frühableben, Kolalateralschaden<br />
national befreite Zone, Gotteskrieger,<br />
Ich-AG, Tätervolk, Humankapital,<br />
Entlassungsproduktivität und<br />
freiwillige Ausreise. Bis auf „Tätervolk“<br />
handelt es sich ausschließlich um Euphemismen,<br />
bzw. hat die euphemistische<br />
Verwendung den Zorn der Jury erregt. Bei<br />
den 32 auf Platz 2 und 3 genannten<br />
Unwort-Anwärtern herrschen ähnlich