Artykuły - Zbliżenia Interkulturowe
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Verhältnisse. Immerhin gibt es also wenigstens<br />
ein sprachliches Kriterium für<br />
die Auswahl, was bei der Kür eines<br />
Unwortes (nicht der Untat) des Jahres auch<br />
wohl füglich erwartet werden darf. Bei der<br />
bislang einzigen Ausnahme hat sich die<br />
Jury auch nicht weit von ihrem Kriterium<br />
entfernt: „Tätervolk“ ist als Dysphemismus<br />
anzusehen – dem Gegensatz zum<br />
Euphemismus.<br />
Euphemismen pflegen, wie sprachwissenschaftliche<br />
Kollegen der Frankfurter<br />
Jury längst herausgefunden haben in ihr<br />
Gegenteil umzuschlagen: Die Beschönigung<br />
kann letztlich die negativen Elemente<br />
des angesprochenen Sachverhalts<br />
nicht auf Dauer zu verdrängen und<br />
nimmt schließlich selbst die – oder einen<br />
Teil der – negativen Konnotationen an:<br />
Als „Neger“ politisch unkorrekt wurde,<br />
sagte man „Schwarzer“ – auch das bekam<br />
einen Hautgout, also musste man „Farbiger“<br />
sagen. Das ist die Euphemismus-<br />
Tretmühle, wie Linguisten das nennen.<br />
Was ist aber so fürchterlich am Euphemismus<br />
– dass die Frankfurter Jury sie<br />
geradezu als Symptom einer Sprachdämmerung<br />
ansieht und jedes Jahr ein<br />
Beispiel rituell verdammt? Verschleiern,<br />
beschönigen, schamhaft verschweigen<br />
sind aus Rolf Schlössers Sicht die Kardinalssünden<br />
dieser rhetorischen Figur<br />
die man auch Gebotsform fassen könnte:<br />
1. Sprachliches Gebot: Du sollst nicht<br />
verschleiern.<br />
2. Du sollst nichts verbergen.<br />
3. Du sollst nichts beschönigen. –<br />
nichts als die Wahrheit, die reine Wahrheit“,<br />
sagt der Sprachrichter und der<br />
messianische Gutmensch sekundiert<br />
„Eure Rede sei ja, ja, nein, nein; was drüber<br />
ist, das ist vom Übel“. Nun beruft sich<br />
Bernd Balzer: O Sancta Euphemia!<br />
die Frankfurter Jury nicht auf so ehrwürdige<br />
Texte wie die Bergpredigt, (auch<br />
wenn da mit Sicherheit untergründige<br />
intertextuelle Beziehungen am Werk<br />
sind). Da es sich fast ausnahmslos um<br />
Sprachwissenschaftler handelt, wird man<br />
sich vielmehr an einen von deren Säulenheiligen<br />
halten, an Paul Grice und seine<br />
Konversationsmaximen<br />
– Mache deinen Gesprächsbeitrag so<br />
informativ, wie es für den anerkannten<br />
Zweck des Gesprächs nötig ist.<br />
– Mache deinen Beitrag nicht informativer,<br />
als es für den anerkannten Zweck<br />
des Gesprächs nötig ist.<br />
– Versuche einen Gesprächsbeitrag zu<br />
liefern, der wahr ist.<br />
– Sage nichts, wovon du glaubst, dass<br />
es falsch ist<br />
– Sage nichts, wofür du keine hinreichenden<br />
Gründe hast.<br />
– Sage nur Relevantes.<br />
– Vermeide Unklarheit.<br />
– Vermeide Mehrdeutigkeit.<br />
– Vermeide unnötige Weitschweifigkeit.<br />
– Vermeide Ungeordnetheit.<br />
Ominöserweise sind es gerade 10 Gebote<br />
– es sind aber vor allem die Nummer<br />
3, 4, 6, 7, 8, welche den Euphemismus<br />
verbieten, aber nicht nur den: Sämtliche<br />
Formen uneigentlichen oder bildhaften<br />
Sprechens sind ausgeschlossen.<br />
Damit wären diese Regeln ein erstklassiges<br />
Literatur-Verhinderungsprogramm –<br />
wenn denn irgend ein Autor so töricht<br />
wäre, es anzuwenden.<br />
Die Frankfurter Jury kümmert sich ja<br />
auch gar nicht um Literatur (der Himmel<br />
möge uns bewahren!), sondern um den<br />
öffentlichen politischen Diskurs – und<br />
da wäre die Befolgung vieler dieser Regeln<br />
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