02.01.2013 Aufrufe

Armen Oganessjan - Internationales Leben

Armen Oganessjan - Internationales Leben

Armen Oganessjan - Internationales Leben

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Digest, 2011<br />

Ungeordnetes Europa<br />

Deutschland an die Macht kam, verachtete Stresemanns Diplomatie und dachte<br />

in den Kategorien der Unifizierung Europas unter deutscher Herrschaft. Von<br />

Hitlers Antikommunismus eingenommen und der Zugehörigkeit Deutschlands<br />

zur westlichen Zivilisation sicher, erwiesen sich die europäischen Politiker als<br />

unfähig, die verderblichen Folgen des hemmungslosen Wachstums der deutschen<br />

Militärstärke für das europäische Gleichgewicht und, wie sich erweisen sollte, auch<br />

für die ganze Welt vorauszusehen.<br />

Die Kapitulation der britischen und der französischen Führung vor Hitler<br />

in München im September 1938 brachte Europa um die letzten Reste des<br />

Gleichgewichts und ließ die UdSSR faktisch allein mit Nazideutschland. Im<br />

August 1939 ging Jossif Stalin auf den Abschluss des sowjetisch-deutschen<br />

Nichtangriffspakts ein und zahlte mit gleicher Münze heim: Er zeigte dem<br />

Westen, dass ihm trotz der kommunistischen Ideologie die für die westeuropäische<br />

Diplomatie üblichen Methoden von Kardinal Richelieu und der „Realpolitik“<br />

Otto von Bismarcks nicht fremd waren. Für eine Zeitlang brachte Stalin die<br />

Lage der UdSSR in Vorkriegseuropa in ein gewisses Gleichgewicht, verstand<br />

es jedoch nicht, Hitlers Absichten bis zu Ende zu enträtseln und die Dauer des<br />

Aufschubs des unvermeidlichen Kriegs mit Deutschland richtig einzuschätzen.<br />

Die Zerschlagung Frankreichs im Mai 1940 bedeutete für die einen das Ende<br />

der Illusionen über die Ausnutzung Hitlerdeutschlands als „Spitze“ im Kampf<br />

gegen die „bolschewistische Pest“, für andere den Zusammenbruch der<br />

Hoffnungen auf die gegenseitige Erschöpfung der westeuropäischen Mächte im<br />

zwischenimperialistischen Kampf. Die harte Realität zeigte, wie akut es wurde, die<br />

Bemühungen um den Widerstand gegen den gemeinsamen Feind zu vereinigen,<br />

was nach dem Überfall auf die UdSSR in der Bildung der Antihitlerkoalition eine<br />

konkrete Verkörperung fand.<br />

In der Außenpolitik der USA kam es zu einer Wendung, ihre herrschenden<br />

Kreise mit Präsident Franklin D. Roosevelt an der Spitze kamen zu dem Schluss<br />

(wenn das öffentlich auch nicht zugegeben wurde), dass jenes Kräftegleichgewicht<br />

in Europa, das sie empört abgelehnt hatten, gerade Amerikas Sicherheit<br />

gewährleistete. Unter Roosevelt erschien in der amerikanischen Diplomatie eine<br />

neue, von Wilsons Ansichten unterschiedliche außenpolitische Schule: die der<br />

Anhänger der “Kräftebalance“ bzw. der „Realisten“, für welche die Einschätzung<br />

der Macht der Staaten und des Kräfteverhältnisses zwischen ihnen mehr Bedeutung<br />

hatte als ihre innenpolitische Einrichtung. In logischer Entwicklung dieser Richtung<br />

in der US-Außenpolitik bemühten sich die USA, gleich der UdSSR, um die<br />

Bildung der Organisation der Vereinten Nationen, die, anders als der Völkerbund,<br />

berufen war, die nach 1945 entstandene Kräftekonstellation und die Interessen<br />

eines weiten Kreises von Staaten maximal zu berücksichtigen.<br />

99

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!