Armen Oganessjan - Internationales Leben
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Michail Majorow<br />
zunutze machte und die „imperialen Vorhaben der Russen“, die Länder von<br />
Zentral- und Osteuropa an sich zu reißen, realisierte. Ein anschauliches Beispiel<br />
einer solchen Auslegung war das 1996 herausgegebene Buch des bekannten<br />
englischen Historikers Norman Davies „Geschichte Europas“, das übrigens aus<br />
den Mitteln des Soros-Fonds in Russland in hoher Auflage herausgekommen<br />
ist. Davies stellte den Überfall Hitler-Deutschlands auf die UdSSR als einen<br />
(freilich selbsternannten) „Kreuzzug der Nazis zum Schutz der Zivilisation“ und<br />
die deutschen Okkupanten als Verteidiger Europas gegen „die Invasion aus dem<br />
Osten“ dar. Die Sowjetarmee bedeutete für ihn „Horden von schlecht gekleideten<br />
und schlecht bewaffneten Iwans“, die gleich „den asiatischen Horden“ nach<br />
Europa „Raub, Gewalt und offiziellen Terror in erschreckenden Ausmaßen“<br />
brachten 21 . Es geht so weit, dass das Heldentum der Sowjetbürger in den<br />
Kriegsjahren als Nonsens gegenüber den europäischen <strong>Leben</strong>sstandards ausgelegt<br />
wird. So schrieb der französische Philosoph A. Glucksman, dass es den Europäern<br />
schwerfalle, die „tierische Reaktion der einfachen Russen“ zu verstehen, die,<br />
ebenso wie unter Napoleon, bei der Vertreibung der Landräuber die Fähigkeit zur<br />
Selbstaufopferung zeigten 22 .<br />
Charakteristisch für die Epoche des Kalten Krieges war eine scharfe<br />
Rivalität zwischen zwei in Stärke und Macht ungefähr gleichen Blöcken, die<br />
die Erwägungen über die Vorzüge der „westlichen Zivilisation“ nicht mehr so<br />
aktuell erscheinen ließ. Der Propagandakampf wurde in erster Linie im Bereich<br />
der Ideologie geführt. Nach Maßgabe dessen, wie die inneren Probleme in der<br />
UdSSR und die Schwankungen im sozialistischen Lager zunahmen, gewann die<br />
Attacke des Westens auf die ideologischen Grundlagen der Sowjetunion die Form<br />
der Ablehnung der UdSSR als eines Staates, der den Triumphzug der westlichen<br />
Werte in der ganzen Welt behinderte. US-Präsident Ronald Reagan (1981-1989)<br />
verkündete unter antikommunistischen Parolen einen Kreuzzug gegen das „Reich<br />
des Bösen“ und nahm Kurs auf eine direkte Konfrontation mit der UdSSR auf<br />
globaler und regionaler Ebene, auf die Zerstörung des militärisch-strategischen<br />
Gleichgewichts.<br />
Ein Beigeschmack der zivilisationsmäßigen Erwägungen kehrte in die<br />
Beziehungen zwischen Russland und dem Westen in vieler Hinsicht dank Boris<br />
Jelzin und seiner Umgebung zurück: Sie glaubten, dass die außenpolitische<br />
Orientierung auf ein strategisches Bündnis mit den ehemaligen Gegnern aus<br />
dem Kalten Krieg im Kampf gegen die „alten Zustände“ im Lande werde helfen<br />
können. Hierbei vertraten viele, darunter auch Außenminister Andrej Kosyrew,<br />
die Auffassung, dass das neue Russland um jeden Preis eine Annäherung an den<br />
„zivilisierten Westen“ erreichen müsse, wobei nicht einmal die Konfiguration von<br />
Führendem und Geführtem ausgeschlossen wurde. In seinen Äußerungen über<br />
<strong>Internationales</strong> <strong>Leben</strong>