Armen Oganessjan - Internationales Leben
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Digest, 2011<br />
Ungeordnetes Europa<br />
109<br />
zeichneten sich in Europa ab: Der UdSSR-Besuch von General de Gaulle 1966<br />
gab der sowjetisch-französischen Annäherung einen Impuls; der Moskauer<br />
Vertrag von 1970 zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland<br />
verpflichtete die Partner unter anderem, „die territoriale Integrität aller Staaten<br />
in Europa in den bestehenden Grenzen unentwegt einzuhalten“; 1971 wurde das<br />
vierseitige Abkommen (UdSSR, USA, Großbritannien, Frankreich) über West-<br />
Berlin unterzeichnet, was es ermöglichte, für eine längere Zeit einen der festesten<br />
Knoten der Widersprüche aus der Zeit des Kalten Krieges zu lösen. Doch die<br />
Haupterrungenschaft der „Entspannungssaison“ war die Realisierung der von der<br />
sowjetischen Diplomatie 1966 (nach Sondierungsgesprächen mit den Franzosen)<br />
vorgebrachten Idee, eine gesamteuropäische Konferenz über Sicherheit und<br />
Zusammenarbeit in Europa einzuberufen.<br />
Die am 1. August 1975 in Helsinki unterzeichnete Schlussakte der Konferenz<br />
schuf die Grundlagen für einen in der europäischen Geschichte einzigartigen<br />
Prozess: die Möglichkeit, Sicherheitsprobleme des Kontinents auf einer blockfreien<br />
Basis, unter Heranziehung aller europäischen Staaten mittels diplomatischer<br />
Methoden zur Regulierung von Widersprüchen und Konflikten zu lösen. Doch<br />
die Sache der Überwindung der Spaltung in Europa verlief sofort anders, als im<br />
vorgemerkten Szenario vorgesehen war, und schuld daran war vor allem die<br />
Verschlechterung der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen. Das größte<br />
„Verdienst“ darum gehörte der amerikanischen Seite, die unter Präsident George<br />
Carter (1977-1981) energisch mit dem Abbau des Entspannungsprozesses<br />
begann. Eine Rolle spielte dabei auch die Einführung sowjetischer Truppen<br />
nach Afghanistan 1979. Das spitzte die Beziehungen der Sowjetunion zu den<br />
Weststaaten zu, mehr noch: Das verursachte das Absinken ihres Ansehens in<br />
der Dritten Welt und bewirkte einen wesentlichen Verlust der Attraktivität des<br />
sowjetischen Modells.<br />
Bei der weiteren Verschlechterung der Situation innerhalb der UdSSR<br />
verkündete der letzte sowjetische Führer Michail Gorbatschow den Kurs auf<br />
eine Umbildung (Perestroika) des Wirtschafts- und Soziallebens des Landes<br />
sowie auf Veränderungen in seiner Außenpolitik. Das neue Herangehen an die<br />
internationalen Beziehungen basierte nicht auf einer Kräfte-, sondern auf einer<br />
Interessenbalance, zum Kern des neuen Denkens im Bereich der Außenpolitik<br />
wurde die Anerkennung der Priorität der allgemeinmenschlichen Werte. Ein<br />
Ausdruck dieser Linie an der europäischen Richtung war Gorbatschows Idee<br />
eines „gemeinsamen europäischen Hauses“. In der Sitzung des Politbüros des<br />
ZK der Kommunistischen Partei der Sowjetunion im März 1987 erklärte er, dass<br />
„wir ohne einen Partner wie Westeuropa nicht auskommen werden“, denn keine<br />
einzige Frage lasse sich lösen, ohne Europa zu berücksichtigen, auch seien die