Armen Oganessjan - Internationales Leben
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Digest, 2011<br />
Die ersten Revolutionen des 21.Jahrhunderts<br />
131<br />
massenhaften Protestbewegungen in mehreren Staaten nehmen nach wie vor zu<br />
und sind von deren Abschluss noch weit entfernt. Das revolutionäre Potenzial der<br />
arabischen Gesellschaft ist außerordentlich hoch, und provisorische Abschwächung<br />
der Protestaktionen ist nur möglich, wenn deren Teilnehmer ermüdet sind.<br />
Die Situation erschwert sich dadurch, dass die Rebellen und deren Führer (wenn sie<br />
real bestehen) keine genaue Vorstellung vom Modell der gesellschaftlichen Ordnung<br />
haben, das sie befriedigen konnte. Dieser Umstand verstärkt in jetzigen revolutionären<br />
Aufständen jene Komponente, die sie den spontanen Meutereien nahebringt. Dass<br />
über die frohlockende Menschenmenge in Bengasi nach der Ermordung des jüngsten<br />
Sohnes Muammar Gaddafis und seiner drei Enkelkinder die amerikanischen Flaggen<br />
wehten, darf niemanden irreführen: Keiner von diesen Menschen begann die USA<br />
mehr zu lieben, an diesem Tag wollten sie einfach zeigen, dass sie den NATO-Leuten<br />
für diese schmutzige Arbeit dankbar sind. Sie haben auch keine größere Pietät zur<br />
amerikanischen Demokratie: Es ist kaum zu glauben, dass diese Menschen, wenn sie<br />
an die Macht kommen, überzeugte und vorbildliche Demokraten werden.<br />
Die Ereignisse im Nahen Osten und Nordafrika betonten eine überaus relevante<br />
Gesetzmäßigkeit: In der jetzigen historischen Etappe können die Früchte des<br />
Erfolges der eigentlich revolutionären Auftritte, die unter anderem und vielleicht<br />
vor allem durch die sozialökonomischen Gründe heraufbeschworen wurden,<br />
aber klarer und deutlicher Orientierungspunkte entbehren, vorwiegend die<br />
Transformation des Überbauniveaus darstellen, die die Basis der Gesellschaft nicht<br />
berührt. Die ursprünglichen Ursachen der sozialen Ungerechtigkeit, des realen<br />
Generators der Proteststimmungen, werden allem Anschein nach nicht betroffen,<br />
d.h. dass niemand gegen die Wiederholung der Volksproteste versichert ist.<br />
Das sind jedoch die Überlegungen über die Zukunft. Niemand weiß zur Zeit,<br />
womit und wann die jetzige revolutionäre Welle enden und zu welchen realen<br />
Veränderungen in der Gesellschaft sie führen wird. Das Element der Unbestimmtheit<br />
wird im wesentlichen durch die zunehmende äußere Einmischung in das Geschehen<br />
verstärkt, die auf verschiedenen — militärischen, politischen und ökonomischen —<br />
Wegen vor sich geht. Die möglichen Folgen der Ermordung des Führers von „Al-<br />
Qaida“ Osama bin Laden durch die amerikanische Eingreiftruppe in Pakistan, die<br />
in der gesamten Welt mit deutlicher Erleichterung aufgenommen wurde, sind auch<br />
nicht klar. Diese erfolgreiche Operation kann auch die direkt entgegengesetzten<br />
Nebeneffekte bezüglich der Prozesse in der arabischen Welt haben vom Abebben der<br />
revolutionären Welle und Beginn der Stabilisierung bis zur weiteren Radikalisierung<br />
eines bestimmten Teiles der Aufständischen und der schlagartigen Verstärkung der<br />
antiamerikanischen und im ganzen antiwestlichen Stimmungen.<br />
Schlüsselwörter: Die Krise im Nahen Osten und im Nordafrika, Osama bin<br />
Laden, die soziale Ungerechtigkeit, die radikalen Islamisten.