Armen Oganessjan - Internationales Leben
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Digest, 2011<br />
Ungeordnetes Europa<br />
107<br />
de Gaulle den Gedanken ein, dass die Gefahr vom kommunistischen Russland<br />
ausgehe. So kam er zu dem Schluss von der Notwendigkeit, sich vom Prinzip<br />
der „doppelten Sicherheit“ leiten zu lassen: der Sicherheit vor Deutschland als<br />
Folge von dessen Aufteilung in zwei Staaten und der Sicherheit vor der UdSSR<br />
als Folge der Aufnahme Westdeutschlands in euroatlantische Strukturen. 1958,<br />
wieder in Frankreich an der Macht, traf sich De Gaulle vor allem mit dem<br />
Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Konrad Adenauer und erklärte<br />
ihm gegenüber: Zwar werde das französische Volk die früheren Übeltaten<br />
seines Nachbarn am Rhein nicht vergessen, aber um eines gemeinsamen Europa<br />
willen lohne sich der Versuch, den Lauf der Geschichte umzukippen und<br />
beide Völker miteinander zu versöhnen. Der neue Charakter der französischdeutschen<br />
Beziehungen hat in vieler Hinsicht die positive Entwicklung der<br />
westeuropäischen Integration vorausbestimmt, die im Endresultat zur Gründung<br />
der Europäischen Union führte.<br />
Die Sowjetunion hatte ernste Gründe anzunehmen, dass die Schaffung diverser<br />
Organisationen in Europa sich in erster Linie gegen die UdSSR richtete. Im März<br />
1947 verkündete die amerikanische Diplomatie die Truman-Doktrin, die die<br />
Epoche der globalen Gegenüberstellung von „Demokratie und Totalitarismus“<br />
einleitete, und im Juni desselben Jahres trat US-Außenminister George Marshall<br />
mit dem Plan der „Wiederherstellung und Entwicklung“ von Nachkriegs-Europa<br />
auf, der schnell in eine Wirtschaftswaffe der USA im Kampf für Europa gegen die<br />
UdSSR ausartete. Aber besondere Besorgnis erweckten in Moskau die Gründung<br />
der Nordatlantischen Allianz und der Kurs der Amerikaner darauf, in diese Allianz<br />
Westdeutschland aufzunehmen (die Bundesrepublik Deutschland wurde 1955 Nato-<br />
Mitglied). Die sowjetische Führung verstand das als Formierung eines militärischpolitischen<br />
antisowjetischen Blocks. Keineswegs optimistisch wirkten auch die<br />
Erklärungen der Nato-Führer über die Ziele der Allianz, darunter der bekannte<br />
Ausspruch des ersten Nato-Generalsekretärs, des britischen Generals Hastings<br />
Ismay: „Die Amerikaner müssen in Europa, die Deutschen an der Kandare,<br />
die Russen außerhalb Europas gehalten werden.“ Die Losung der Vereinigten<br />
Staaten von Europa wurde in Moskau als Aufforderung aufgefasst, die Zone des<br />
sowjetischen Einflusses in Zentral- und Osteuropa zu liquidieren, man sah darin die<br />
politische Absicht, die Sowjetunion zu isolieren.<br />
Auf Stalins Tod 1953 folgte ein Zeitabschnitt, der eine, und sei es minimale,<br />
doch bestehende Möglichkeit gab, dem Kalten Krieg ein Ende zu setzen. Auf einer<br />
Tagung der Beratung der Außenminister (UdSSR, USA, England und Frankreich)<br />
in Berlin im Januar/Februar 1954 trat die sowjetische Seite, die eine friedliche<br />
Vereinigung beider deutschen Staaten im Auge hatte, mit dem Vorschlag auf, einen<br />
gesamteuropäischen Vertrag über kollektive Sicherheit abzuschließen, der nach