Armen Oganessjan - Internationales Leben
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Sergej Nikolajew<br />
Ohne uns in eine schon zu weit entrückte Vergangenheit zu vertiefen, wollen<br />
wir einige wichtige Marksteine auf dem Wege des Einstiegs der Region in die<br />
Geopolitik betrachten.<br />
Wohl erstmalig sprach man von Zentralasien aktiv im 19. Jahrhundert, als das<br />
Russische Reich an die Formierung seiner Südgrenzen ging. Die Lösung dieser<br />
Aufgabe hing mit seinen Beziehungen nicht nur zu den asiatischen Nachbarn —<br />
dem Qing-Reich, zu Afghanistan, dem Iran und der Türkei — zusammen,<br />
sondern auch mit den europäischen Mächten. Die Rede ist vor allem vom British<br />
Empire, das seine Kolonialbesitzungen auf Kosten von Indiens Anrainern zu<br />
erweitern suchte. Die Kollision der Interessen von Sankt Petersburg und London<br />
im ausgedehnten zentralasiatischen Raum in der zweiten Hälfte und am Ende des<br />
19. Jahrhunderts und ihre Suche nach gegenseitig annehmbaren Kompromissen<br />
zwecks Regelung der entstandenen Probleme erhielt die Bezeichnung des „Großen<br />
Spiels“ 1 . Dieser Terminus wird bisher gebraucht, wenn es sich um Rivalität der<br />
weltführenden Spieler um den Einfluss in Zentralasien handelt.<br />
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand die strategische Bedeutung besagter<br />
Region eine neue Bestätigung. Hier sind unbedingt die konzeptuellen Ideen eines<br />
Klassikers der Geopolitik, des britischen Geografen und Historikers Halford J.<br />
Mackinder, zu erwähnen. Am 25. Januar 1904 hielt er in der Royal Geografical<br />
Society den Bericht „Die geografische Achse der Geschichte“, welcher der<br />
vielfältigen Verknüpfung von Geografie mit Geschichte und Politik gewidmet<br />
war. Seine Publikation wird häufig der Ausgangspunkt der Entwicklung der<br />
Geopolitik als Wissenschaft genannt (obwohl dieser Terminus selbst im Text nicht<br />
vorkam). Bei seinen Erwägungen über die Kräftebilanz zwischen den See- und<br />
den Landmächten äußert Mackinder die Vermutung, dass nach 1900, dem Jahr,<br />
das für das Ende der Epoche der großen geografischen Entdeckungen („Columbus`<br />
Epoche“) seht, sich besagte Bilanz zugunsten der letzteren verändern werde. In<br />
den Vordergrund treten werde hierbei Eurasien (im Bericht: Euro-Asien) und<br />
innerhalb seiner ein an Naturressourcen reicher, von Bergen umgebener und den<br />
Flotten unzugänglicher nordöstlicher Raum, der Zentralasien einschließt, sowie<br />
ein Teil des Urals und Sibiriens, wo sich in raschem Tempo ein transkontinentales<br />
Eisenbahnnetz entwickeln werde. Der britische Wissenschaftler definiert ihn als<br />
„Achsenraum“ in der Weltpolitik, in dem die Hauptrolle Russland gehöre. 2<br />
1919 ersetzt Mackinder in seiner späteren Arbeit „Demokratische Ideale und<br />
Realität“ den „Achsenraum“ durch den Begriff „Heartland“. Ebenfalls damals wird<br />
seine berühmte Formel geprägt: „Wer Osteuropa beherrscht, kontrolliert Heartland.<br />
Wer Heartland beherrscht, kontrolliert die Welt-Insel (d. h. Eurasien und Afrika).<br />
Wer die Welt-Insel beherrscht, kontrolliert die Welt.“ 3<br />
Mackinders Anschauungen fanden mit verschiedenen Variationen in den Werken<br />
einer Reihe anderer bekannter Geopolitiker ihre Widerspiegelung, z. B. denen<br />
<strong>Internationales</strong> <strong>Leben</strong>