Armen Oganessjan - Internationales Leben
Armen Oganessjan - Internationales Leben
Armen Oganessjan - Internationales Leben
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Digest, 2011<br />
Ungeordnetes Europa<br />
119<br />
die Notwendigkeit einer scharfen Wende in der Außenpolitik machte Jelzin nicht<br />
einmal vor Behauptungen halt, ganz Russland schäme sich der Gefahr, die die<br />
Sowjetunion für die „Gemeinschaft der zivlisierten Länder“ dargestellt habe 23 . In<br />
Washington und den Hauptstädten der westeuropäischen Länder wurde eine solche<br />
Position als Verzicht der sowjetischen Führung auf die sowjetische Vergangenheit,<br />
als das Zugeben des „unzivilisierten Charakters“ Russlands verstanden. Die<br />
russische Führung, die die Minderwertigkeit des eigenen Landes bezeugte, hatte<br />
kaum zu erwarten, dass sie im Westen als gleichberechtigter Partner aufgenommen<br />
sein werde.<br />
1994 kam das Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen<br />
Russland und der Europäischen Union zustande (Inkrafttreten 1997), das den<br />
Charakter der Beziehungen zwischen dem „Lehrer“ und dem „Lernenden“<br />
trug. Die Präambel erwähnte lediglich „die Wichtigkeit der zwischen der<br />
Gemeinschaft und ihren Mitgliedsstaaten und Russland bestehenden historischen<br />
Verbindungen sowie der ihnen gemeinsamen Werte“ und brachte die Realisierung<br />
der Partnerschaft von der „Fortsetzung und Vollendung der politischen und<br />
wirtschaftlichen Reformen Russlands“ in Abhängigkeit 24 . Recht kennzeichnend<br />
war in diesem Sinne der Sammelband „Ist Russland eine europäische Macht?<br />
Russlands Stellung in einem neuen Europa“, den 1998 die katholische<br />
Universität von Leuven (Belgien) herausgab und der Beiträge europäischer<br />
Politiker, Diplomaten und Wissenschaftler enthielt 25 . Der Hauptinhalt des<br />
Sammelbandes lief auf den Gedanken hinaus, dass Sowjet-Russland vor und<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg alles in allem als ein — und sei es „verirrter“ —<br />
Bestandteil Europas mit einem gewissen Anteil von expansionistischen<br />
Bestrebungen aufgefasst wurde. Nach dem Zerfall der UdSSR begann in<br />
Europa die Meinung zu überwiegen, Russland sei ein „Lernender“, ihm wurde<br />
der Status eines „teilweise“ europäischen Landes zuerkannt, das eingeladen<br />
wird, den Prozess der europäischen Integration ohne das beschließende<br />
Stimmrecht zu beobachten. Im Sammelband wurde behauptet, dass die russische<br />
Führung, um die historisch tief verwurzelte „Isolierung“ Russlands von<br />
Europa zu überwinden, die europäische Orientierung ihrer Politik „beweisen<br />
und die Europäer von der Notwendigkeit, Russland in Europa aufzunehmen,<br />
„überzeugen“ solle.<br />
Der von der russischen Führung Anfang des 21. Jahrhunderts deklarierte Kurs<br />
auf den Aufbau eines nationalen Staates und eine unabhängige Außenpolitik, die<br />
Rehabilitierung des Patriotismus und der nationalen Traditionen lösten bei vielen<br />
Politikern im Westen eine merkliche Gereiztheit aus, die sich zur Bezichtigung<br />
Russlands, die „imperialen Ansprüche“ und den Chauvinismus wiederzubeleben,<br />
verdichtetete. Besonders beeindruckte die Westeuropäer Wladimir Putins