Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg
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Das Romanwerk von Jacques Stephen Alexis 106<br />
rêve, l’existence sera une éternelle enfance, passionnée, heureuse, toujours ravie.<br />
(Arbres 279f).<br />
Les Arbres musiciens, zu denen Gonaïbo und Harmonise am Ende des Romans aufbrechen,<br />
stehen im Zeichen des Lichtes, das die Dunkelheit ablöst. Der Weg zu ihnen führt nach oben,<br />
ins Licht. Der Romanschluss fällt in die Zeit der morgendlichen Dämmerung, die die Berge<br />
violett glühen lässt. Obwohl Gonaïbo zunächst noch völlig orientierungslos ist und sich nach<br />
einem „sentier clair“ oder einem „phare qui indiquât les aléas de la route de l’avenir“ (Arbres<br />
392) sehnt, finden beide spielend leicht den Weg. Wie im Fall von Hilarion und Claire-<br />
Heureuse, die auf dem Weg zur Grenze der rötlich untergehenden Sonne folgen, fungiert die<br />
Natur als Orientierungshilfe. Gonaïbo und Harmonise folgen den Glühwürmchen, die vor<br />
ihnen davonfliegen. Auch die Lichtung, auf die sie wenig später gelangen, erweist sich schon<br />
im Begriff – „clairière“ – als eine Variation der Lichtmetapher und legt Assoziationen wie<br />
„être clair“ und „clairvoyance“ nahe. Gonaïbos Wandlung zum „homme-lumière“ steht nichts<br />
mehr im Wege. Er kommt als zukünftiger Repräsentant der Volksmassen in Frage. Durch<br />
seine intime Bindung an die haitianische Natur scheint Gonaïbo der Nachfolger Dessalines zu<br />
sein, den sich Carméleau im Gespräch mit Bois-d’Orme herbeiwünscht 80 .<br />
Trotz des Untergangs von Remembrance wird am Ende des Romans der Neubeginn<br />
ausgerufen, wie der letzte Satz „La vie commence“ nahe legt. Vorbild ist das zyklische<br />
Prinzip der Natur, das tote Materie an den Ausgangspunkt für die Entstehung von neuem<br />
Leben setzt. Es klingt bereits am Anfang des Romans an:<br />
Le petit monde animal et végétal respirait, vibrait, palpitait, heureux, infatigable,<br />
multicolore, parfaitement beau, moiré, compétitif, brutal, sanguinaire,<br />
immarcescible. La lutte faisait rage sur chaque motte de terre, l’amour triomphait<br />
dans chaque fleur, le bonheur s’épanouissait dans chaque brindille, la vie<br />
mûrissait dans chaque goutte de rosée, liqueurs, poisons et narcoses s’élaboraient<br />
dans chaque bourgeon. La mort rognait le vif. Le brut, le chimique, l’inerte, se<br />
composaient et se recomposaient, le vivant dévorait le mort.“ (Arbres 44) 81<br />
Ohne Tod kein Leben. Dies gilt auch für Gonaïbo, der nun durch das Fällen der singenden<br />
Bäume seinen Lebensunterhalt verdienen wird. Obwohl die Bäume verletzt oder zerstört sind,<br />
ist der Wald in seiner Gesamtheit noch intakt. Dennoch wird der optimistische Gestus<br />
gebrochen. Zwar singt der Wald mit kräftiger Stimme, aber keiner weiß, wie lange noch. Die<br />
Abholzung schreitet unaufhaltsam voran. Wie der Kultstein, der erst im Zerbrechen sein<br />
80 „Moi, je ne peux plus me résigner et répéter que le Bon Dieu est bon, que les Loas sont nos pères et La<br />
Remembrance éternelle!... Moi, je sais qu’un jour Dessalines reviendra sur la terre d’Haïti, il reviendra pour<br />
mettre fin aux gémissements, aux plaintes et pour combattre à la tête de ses enfants. Il ne peut pas ne pas revenir!<br />
Il sortira des entrailles de la terre!“ (Arbres 353).<br />
81 Cf. auch Carméleaus Trost angesichts der Auflösung von La Remembrance: „Et s’il était nécessaire que tout<br />
meure pour que naisse ce qui doit naître? Tout renaît sous d’autres formes, rien ne meurt jamais!...“ (Arbres<br />
354).