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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Edouard Glissant: hagiographe des sites 157<br />

duplicité“ (Mahagony 27), bestehend aus den Paaren Liberté/Gani, Beautemps/Maho und<br />

Mani/Odono Celat.<br />

Die Verdoppelung der Geschichten und Romanfiguren gehen mit der Multiplikation der<br />

Erzählerinstanzen einher, die schon in La case du commandeur zu beobachten war und in<br />

Tout-monde weitergehen wird 35 . Dort wurden Romanfiguren wie Ozono Celat, der seiner<br />

Adoptivtochter immer wieder das Märchen vom „poisson-chambre“ erzählen muss, oder wie<br />

Aa, der seinen Gefängniswärtern von Odonos Schicksal berichtet, selbst zu Erzählern. Die<br />

Position des Haupterzählers blieb jedoch in einer Hand. Nicht so in Mahagony. Das erste<br />

Kapitel stammt von Mathieu. Es erweckt den Eindruck, das Vorwort zu einem Roman zu sein<br />

bzw. rückblickend die Entstehungsgeschichte des Romans aufzudecken. Doch schon im<br />

folgenden Kapitel wird klar, dass Mathieu nicht der einzige Erzähler ist. Der Roman ist<br />

vielmehr wie „l’écho infinissable [des] voix“ (Mahagony 176) aus einer Vielzahl von<br />

Zeugenberichten und Schriftstücken zusammengesetzt 36 .<br />

Mit der komplexen Vermehrung der Erzählinstanzen geht der Roman augenzwinkernd<br />

um: Nachdem der Protagonist Mathieu seinerseits zum Erzähler wurde, taucht unter den<br />

Romanfiguren schließlich sogar der „chroniqueur“ selbst auf. 37 Beim Schreiben haben zwar<br />

beide „même manière et presque même style“ (Mahagony 75), aber über die Frage, wie<br />

Mahos Geschichte aufzuschreiben sei, entbrennt sogleich ein Streit 38 . Am Ende stellt sich<br />

heraus, dass Mathieu es dem „chroniqueur“ überlassen hatte, das Buch zu verfassen und die<br />

Zeugenberichte zusammenzustellen. Welcher Text dabei von welchem (fiktiven) Autor<br />

35 Tout-monde wird wie Mahagony von mehreren Stimmen erzählt: „ils prolifèrent, peut-on dire qu’ils sont unseul<br />

divisé en lui-même, ou plusieurs qui se rencontrent en un?“ (Tout-monde 271). Neu dabei ist allerdings der<br />

humorvolle Umgang mit der Polyphonie. In Tout-monde verdoppeln sich nicht nur die Erzähler, auch die Werke<br />

werden multipliziert: „Nous contons ces histoires sempiternellement reprises.“ (Tout-monde 267). Deshalb ist<br />

neben La Lézarde plötzlich die Rede von einem Roman, der unter dem Namen La Tarentule von einem anderen<br />

Autor als Glissant verfasst wurde und just die gleiche Geschichte erzählt. Auch Le quatrième siècle blieb von der<br />

Kopierwut nicht verschont. Unter dem Namen L’An II hatte der andere Schriftsteller dieselbe Handlung<br />

niedergeschrieben. Wie das folgende Zitat andeutet, wird Glissant – zusammen mit Mathieu – immer mehr zum<br />

Materialisten, zum Sprachmaterialisten, der das Wort- und Schriftmaterial zum Ausgangspunkt seiner<br />

Überlegungen macht: „Mathieu Béluse pourtant, qui ressemblait au déparleur, c’est-à-dire, dans ces riens qui<br />

importent tellement, et d’ailleurs vous n’avez pas oublié que Mathieu, déparleur, chroniqueur, romancier, c’était<br />

quatre-en-un, sinon davantage, lui aurait sans doute argué que seuls les matérialistes, si l’appellation vaut et tient<br />

encore, ont le sens du sacré.“ (Tout-monde 345).<br />

36 Die Polyphonie des Romans könnte als Vorlage für die Struktur von Maryse Condés Traversée de la<br />

mangrove gedient haben, wenn Mahagony auch ungleich komplexer aufgebaut ist.<br />

37 Auf die zeitliche Stimmigkeit legt Glissant dabei anscheinend wenig Wert. Mathieu berichtet, wie er<br />

zusammen mit Thaël und dem „chroniqueur“ von Papa Longoué die Geschichte von Maho erfahren hatte. Dies<br />

war, so Mathieu, ein Jahr vor Longoués Tod. Dem widersprechen jedoch die Angaben aus La Lézarde, dass<br />

Thaël erst kurz vor Papa Longoués Tod in die Ebene gekommen war und dass der „chroniqueur“ erst im Laufe<br />

des Wahlkampfes zu Mathieu und seinen Freunden gestoßen war.<br />

38 Während Mathieu eine klare Darstellung der Ereignisse fordert, vertritt der „chroniqueur“ die Meinung, dass<br />

selbst eine genaue, chronologische, vor Jahreszahlen und Hintergrundinformationen strotzende Erzählung den<br />

Ereignissen nicht gerecht werden könnte. Die vollständige Darstellung sämtlicher Vorfälle – und damit die<br />

perfekte Simulation von Geschichte – sei illusorisch (cf. Mahagony 120f).

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