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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Edouard Glissant: hagiographe des sites 147<br />

„enchevêtrement“ von Schicksalen und Geschichten gewichen, dessen Dichte Glissant mit<br />

jedem Roman wachsen lässt.<br />

Vor dem Hintergrund der Größe des Ursprungskontinents – „le long pays infini“ (Siècle<br />

282) – insistiert der Text auf der Kleinheit der Insel als ihrem augenscheinlichsten Merkmal.<br />

Martinique, „calebasse cabossée“ (Siècle 329), wird als „[m]otte de terre“ (Siècle 88), als<br />

„terre minuscule, retournée sur elle-même, tout en boucles, détours, en mornes et ravines“<br />

(Siècle 258) beschrieben. Die Weite der afrikanischen Küste ist einer verwinkelten und<br />

abwechslungsreichen Küstenlinie gewichen, einem „pays de boucles, de détours, d’anses, de<br />

goulets“ (Siècle 64). Wird diese Komprimierung der verschiedensten Landschaftsformen auf<br />

engem Raum einerseits als bedrängend empfunden, so hat die Verschlungenheit andererseits<br />

auch ihre Vorteile. Denn die Natur der „détours“, die Longoué bei seinem ersten Blick auf die<br />

Küste wahrnimmt, liefert den Sklaven das Rezept, wie sie der Gewaltherrschaft zu begegnen<br />

haben. So hält die Natur nicht nur die „feuille de vie et de mort“ parat, die die Basis von<br />

Longoués quimboiseur-Pratiken bildet und die Kontinuität der Geheimlehre ermöglicht,<br />

sondern zeigt durch ihre Form, wie sich das Überleben im neuen Raum gestalten kann. Die<br />

Diversität der Landschaft scheint auf diese Weise die Enge des Raumes wettzumachen.<br />

Bei ihrer Ankunft auf der Insel sahen sich die Sklaven nur den „masses croulantes d’une<br />

végétation incertaine“ (Siècle 23) konfrontiert. Der Roman zielt darauf ab, dieser „incertitude“<br />

durch die genaue Kenntnisnahme der Insel abzuhelfen, „qu’afin de mieux saisir la terre<br />

proche qui autour d’eux leur demeurait insaisissable.“ (Siècle 282). Zu diesem Zweck wird<br />

der Raum der Insel mit Geschichten angefüllt, als könne damit auch das Loch gestopft<br />

werden, das durch die gewaltsame Verschleppung entstanden ist. An strategischen<br />

Knotenpunkten der Natur werden die Geschichten miteinander verknüpft und bilden wie in La<br />

Lézarde ein Netz, das über das neue Land gelegt wird und die Orientierung im noch<br />

geschichtslosen Raum ermöglicht. Der Text wird zum Gewebe, in dem die „cordes en<br />

détresse“ (Malemort 169) 19 in einen neuen sinnstiftenden Zusammenhang finden. In Le<br />

quatrième siècle dienen so die drei im Dreieck stehenden Ebenholzbäume als Bühne<br />

zahlreicher Vorfälle. Hier ermordet der Sohn des Stammvaters, Anne Béluse, seinen<br />

Widersacher Liberté Longoué. Ihr Kampf variiert die mythologische Urszene ein weiteres<br />

Mal. Aber auch La Toufaille, das kleine Gut der Familie Targin, der Thaël entstammt, wird zu<br />

einem Fixpunkt der weiteren Romane. Gleiches gilt für Papa Longoués Hütte, die Siedlung<br />

Roche Carrée oder „la case du commandeur“ in Glissants gleichnamigem Roman. Zu diesen<br />

geschichtsträchtigen Orten werden im Laufe der folgenden Romane noch etliche<br />

19 Edouard Glissant, Malemort (Paris: Gallimard, 1997 (c)). Hier und im Folgenden werden Zitate mit dem Titel<br />

Malemort und der jeweiligen Seitenzahl gekennzeichnet.

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