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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Die Natur als Projektionsraum: Maryse Condés Traversée de la Mangrove 246<br />

nicht verwunderlich, ist Loulou doch Nachfahre der weißen Bevölkerungsschicht, deren<br />

Dichter die südlichen, scheinbar unentdeckten Gebiete jahrhundertelang zur exotischen<br />

Geliebten stilisierten, ob femme sauvage oder doudou, die einer Bändigung und Unterwerfung<br />

durch den weißen Entdecker und Kolonisator bedurfte und durch ihre archetypische Sexualität<br />

die geheimsten Wünsche ihres Herren erfüllte.<br />

Sylvestres Unterwerfungsphantasien – unter anderem ist er auch ein leidenschaftlicher<br />

Jäger – beziehen sich auf sein Herkunftsland Indien, das er mit seiner Frau zu bereisen träumt:<br />

„ils atterriraient sur une terre sans limite, là fauve et pelée, là verte et bruissante de cris<br />

d’oiseaux, accueillante comme une mère, rebelle comme une jeune épousée“ (Traversée 134).<br />

Dass es sich bei der Vorstellung von einem Land als rebellische Jungfrau im heiratsfähigen<br />

Alter um ein Klischee handelt, beweist auch sein Unverständnis gegenüber der Rebellion<br />

seiner eigenen Tochter Vilma, die, statt den für sie vorgesehenen Gatten zu ehelichen, zu<br />

Francis Sancher geflüchtet ist. 60<br />

9.3.2 l’île-marâtre<br />

In der Projektion von Sylvestres Traumland Indien, dessen Beschreibung wie die eines<br />

immergrünen, lebensfreundlichen Paradieses klingt, tritt ein weiterer Topos zutage, der der<br />

île-mère. Guadeloupe erscheint dabei als das Land, das seine Mutterpflichten nicht oder nicht<br />

mehr erfüllt. So wie für Sylvestre Indien in die Mutterrolle schlüpft, spricht auch Moïse von<br />

seiner Heimatinsel wie von einer Rabenmutter: „la Guadeloupe marâtre ne nourrit plus ses<br />

enfants“ (Traversée 37f). Ihre Kinder müssen versuchen, ihren Lebensunterhalt fortan in der<br />

Metropole zu sichern. 61 Früher lebte Rivière au Sel hauptsächlich von der Beforstung der<br />

Wälder ringsum, die jedoch heute als in ihrer Artenvielfalt dezimiert beklagt werden. So<br />

werden die Bäume, die auf Guadeloupe verarbeitet werden, aus Guyana importiert. 62<br />

Das kontrastierende Verfahren, die „guten, alten Zeiten“ einer problematischen<br />

Gegenwart gegenüberzustellen, zieht sich durch den gesamten Roman. Besonders die älteren<br />

Anwohner, die sich materiell abgesichert haben, bedauern das Ende des Zuckerrohranbaus<br />

und zum Teil auch das Ende der Sklaverei. 63 Die aktuelle Wirtschaftssituation wird vor allem<br />

von den Rivalen Loulou und Sylvestre, dem Alteingesessenen und dem Neuaufsteiger,<br />

reflektiert. Sie vertreten neokolonialistische Ansichten und beuten die von Nachbarinseln<br />

eingewanderten Schwarzarbeiter skrupellos aus. Loulou verlegte sich vom Zuckerrohr auf den<br />

60<br />

Cf. Traversée 135.<br />

61<br />

Zum negativen Blick auf das Exil cf.: „On voyait [les exilés] aux congés annuels, une blonde au bras, un lac de<br />

tristesse au fond des prunelles et les houles amères de l’exil labourant les commissures de leurs lèvres“<br />

(Traversée 48).<br />

62<br />

Cf. Traversée 37, 188.<br />

63<br />

Cf. Traversée 124f.

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