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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Edouard Glissant: hagiographe des sites 169<br />

ein, indem sie sich nach allem Leid, das sie erfahren musste, nicht mehr an den „großen“<br />

Bäumen mit ihren „großen“ Geschichten orientiert, sondern an den „kleinen“ Gräsern. „Les<br />

petits herbages“ werden für sie zum Inbegriff eines ruhigen Lebens, das zwar keine „großen“<br />

Gefühle beschert, aber umso erträglicher ist:<br />

Ne croyez pas que je vous fais la morale, ne dites pas: ‚Ça vient, elle va encore<br />

nous expliquer pourquoi elle avait choisi le nom Odono, elle va encore nous<br />

demander si nous savons?’ Non, c’est fini toute cette agitation de grands acajousmahoganis,<br />

je ne vais pas vous embêter. Je regarde mes petits herbages bien<br />

alentour de vos maisons. Mais je pense, aujourd’hui le désordre, il est entré dans<br />

nos têtes nos corps. Pas seulement la folie en souffrance, mais tout ce que vous ne<br />

devinez pas même, qui vous porte à sauvagerie ou désespérance.“ (Mahagony<br />

136)<br />

Mit Mycéas Abkehr von den großen Bäumen der Geschichte und den großen Geschichten der<br />

Bäume ist ein Neubeginn verbunden. Im Wald von Malendure entdeckt sie eine kleine<br />

Pflanze. Sie bohrt mit ihrer Hand ein Loch in die Erde und packt sie bei den Wurzeln. Das<br />

dichte Netz der Wurzeln umschließt einen kleinen Stein, den Mycéa vorsichtig entfernt und<br />

wegwirft. Ihre Gesten haben eine ungeheure Wirkung auf ihr Gemüt: „Le vertige l’avait<br />

quittée, faisant place à un clair étonnement. […] C’est ainsi que, depuis si longtemps qu’elle<br />

vivait à l’ordinaire, travaillant comme chacun et fréquentant qui en valait la peine, pour la<br />

première fois elle revint à elle-même.“ (Mahagony 181). Zum ersten Mal kann Marie Celat<br />

den Wirbel aus Depression und Ohnmacht verlassen. Indem sie der kleinen Pflanze ein neues<br />

Zuhause gibt, scheint sie nach langer Zeit zu sich gefunden zu haben. Marie Celat propagiert<br />

den Rückzug ins Kleine, ins Unscheinbare fernab der „großen“ Geschichten. Der Neuanfang,<br />

verbildlicht im Setzen der kleinen Pflanze, beginnt just zu dem Zeitpunkt, als Glissant die<br />

Geschichten seiner Protagonisten in den Wirbel der Welt, in Tout-monde einmünden lässt.<br />

Sein Schritt in die Welt geht so paradoxerweise mit dem Rückzug in das Private und<br />

Häusliche Hand in Hand, wie es auch in Chamoiseaus Biblique des derniers gestes zu<br />

beobachten sein wird. 63 Die „mise en Relation“ mit der Welt kann anscheinend nur gelingen,<br />

63 Chris Bongie weist darauf hin, dass Glissants Werk über die Jahrzehnte seines Schreibens eine tiefgreifende<br />

Veränderung erfahre: Während die ersten Romane durch ein „(anti-colonial) engagement of modernism“ geprägt<br />

seien, ist in Glissants späten Texten vielmehr ein „(post-colonial) dis-engagement of the postmodern“ zu spüren.<br />

Cf. Chris Bongie, 1998, 50. Cf. dazu auch Michael Dash, 2001. 109., der auf die Spannung zwischen dem<br />

Globalen und dem Lokalen bei Glissant hinweist. Die Entwicklung weg von den großen revolutionären Taten,<br />

hin zu Resignation und Rückzug ist, wie ich gezeigt habe, im Naturbild deutlich abzulesen. Da sich aber Glissant<br />

nicht klar entscheidet zwischen den Möglichkeiten des Engagaments und der Kreolisierung auf der einen und der<br />

Möglichkeit des Rückzugs auf der anderen Seite, bleibt die Spannung zwischen dem globalen<br />

Kreolisierungsprozess und der Identitätssuche auf lokaler Ebene bestehen. Auf diese Spannung weist auch Chris<br />

Bongie hin: „Although it is a common tendency when speaking of Glissant to read his theoretical writings as a<br />

consistent body of work, these writings strike me, on the contrary, as being founded upon a (no doubt fruitful, no<br />

doubt inevitable) contradiction: they are moving in the two very different directions that are required, on the one<br />

hand, by his (global) emphasis on creolization and relationality, and, on the other, by his continued (local)<br />

insistence on nationality and identity.“ Ibid. 54. Chris Bongie weist darauf hin, dass Glissant diese Spannung ab

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