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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Einleitende Überlegungen 21<br />

jedoch den sozialkritischen Anspruch, der Alexis’ Realismusbegriff wesentlich prägte, mit zu<br />

übernehmen. Das Wunderbare steht nicht im Dienst eines kommunistisch begründeten<br />

Kampfes der Unterschicht für Gerechtigkeit und Selbstbestimmung, sondern orientiert sich<br />

am theoretischen Hintergrund der Créolité, wie er in Eloge de la Créolité gefordert ist.<br />

Die Entfremdung, mit der Confiant die Bewohner von Grand-Anse beschreibt,<br />

verräumlicht er in ihrer Beziehung zum Meer: Das Dorf kehrt dem fluchbelasteten Meer den<br />

Rücken zu. Das Meer ist als Spiegelungsfläche, als Meeres-Spiegel konzipiert. Confiant hält<br />

es den Bewohnern vor, um sie zu Reflexion und Selbstbespiegelung zu animieren. Das Meer,<br />

über das die Menschen einst auf die Insel kamen, fungiert als Inbegriff der kreolischen<br />

Herkunft, der sich das Dorf zu verweigern sucht. In einem apokalyptischen Traum am Ende<br />

des Romans fordert das Meer die kollektive Anerkennung und Erinnerung an den Ursprung<br />

ein.<br />

Confiants Naturentwurf trägt karnevalistische und groteske Züge, die in einer Lesart,<br />

die Michail Bachtins Studie Literatur und Karneval folgt, die Grenzen zwischen Mensch,<br />

Welt und Natur durchlässig macht. Der Roman lässt eine zirkuläre Weltordnung aufscheinen,<br />

die ständig gegen die bestehenden Hierarchien aufbegehrt. Dies schlägt sich schließlich auch<br />

in der Struktur des Romans nieder, wo scheinbar jede rationale Ordnung zugunsten einer zum<br />

Lachen verleitenden „dérisoireté“ aufgegeben wird.<br />

Der 1972 erschienene Roman Pluie et vent sur Télumée Miracle von Simone Schwarz-<br />

Bart beschreibt auf einfache, aber gerade aufgrund der Einfachheit prägnante und<br />

bezaubernde Weise das Leben der schwarzen Landbevölkerung, die auch Jahrzehnte nach<br />

Abschaffung der Sklaverei noch unter ärmsten Bedingungen leben und arbeiten. Vom<br />

Publikum wurde der Roman zum Teil kritisch, zum Teil euphorisch aufgenommen, löst sich<br />

seine Geschichte doch vom thesenhaften Grundtenor der damals noch vorherrschenden<br />

Négritude. Die Protagonistinnen Schwarz-Barts führen einen Lebensentwurf vor, der sein<br />

Glück im inneren Rückzug sieht und zur Metapher der Bearbeitung des eigenen Gartens<br />

verdichtet wird. Der Kampf mit dem Bereich der äußeren Einflüsse – mit Gesellschaft, Politik<br />

und Wirtschaft – ist den männlichen Romanfiguren vorbehalten, die aber, wie Amboise, dem<br />

vehementen Druck nicht standhalten können. Das Leben außerhalb des Gartens fordert immer<br />

mehr Raum ein. Es wird offensichtlich, dass Télumées Lebenskonzept wohl individuell, nicht<br />

aber kollektiv umsetzbar ist. Die Daseinsbewältigung greift nur innerhalb der geschlossenen<br />

Welt des Gartens. Doch deren Ende ist bereits absehbar.<br />

Zwanzig Jahre nach Pluie et vent sur Télumée Miracle aktualisiert Patrick Chamoiseau<br />

in seinem Roman Texaco das nostalgische Motiv des gesellschaftsfernen Rückzugs in die

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