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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Die Natur als Projektionsraum: Maryse Condés Traversée de la Mangrove 250<br />

vom afrikanischen Erbe, über die Sklaverei und deren Ende bis hin in die Gegenwart, deren<br />

zerstörerisches Potenzial ihm nicht entgeht:<br />

J’ai vu arriver la lumière et les poteaux électriques, les routes goudronnées, le<br />

béton, les voitures roulant sur quatre roues. A La Pointe, les golomines mouraient<br />

de soif au fond de dalots tandis que le cœur des hommes devenait de plus en plus<br />

dur et mauvais, tout occupé de postes de radio et de télévision en couleurs. […]<br />

Année après année, j’ai vu les bananiers partir à l’assaut des immortels. Les<br />

tracteur remplacer les machettes et les gaïacs tomber raides sur la pelade de la<br />

terre. Où me cacher? (Traversée 244)<br />

Vor dem Siegeszug der Technik, dem Materialismus und der Assimilation der Menschen<br />

flieht Xantippe in die Natur, doch ist seine Zukunft und mit ihm das Überleben der<br />

kreolischen memoria bedroht. Er allein verfügt nämlich über das magische Wort, das die<br />

Natur und den Menschen darin zu binden vermag. Da er aber ein Außenseiter ist, den die<br />

Gesellschaft vor allem als armen Wahnsinnigen ansieht und dessen Kontakt sie meidet, kann<br />

nur er die heilende Wirkung der Einbindung in den Naturzusammenhang ausschöpfen. Für die<br />

anderen bleibt der Weg in diese Art der Daseinserfahrung versperrt.<br />

Am Ende des Kapitels streut er die Asche seiner Frau ins Meer. Seine Vergangenheit<br />

löst sich auf in der Präsenz eines Größeren. Die Grenze zwischen den Elementen Wasser und<br />

Erde hebt sich in der Einheit auf. Variiert wird dies im letzten Satz nochmals in der<br />

Erinnerung an den Liebesakt: „Rappelle-toi mon amour sans sépulture quand nous dérivions<br />

étales sur l’écume du plaisir“ (Traversée 245). In der unio schließt sich der Kreis von<br />

Ursprung („dérivions“) und Ende („sépulture“). Wie die Liebenden stillstehen auf dem<br />

Scheitel der Gezeitenwelle und Xantippe im Wahnsinn sein Zeitgefühl verliert 73 , kehren die<br />

Koordinaten von Raum und Zeit an den Nullpunkt zurück.<br />

9.5 Zwischen magisch-archaischer und rational-landschaftlicher Naturauffassung<br />

Bei Xantippe deutet sich im zirkulären Zeit- und Raumerleben eine magische<br />

Wirklichkeitsauffassung an, die sich wesentlich von der chronologisch-rationalen der<br />

restlichen Romanfiguren unterscheidet. Sein Zugang zur Wirklichkeit erfolgt über die „magie,<br />

vertu du grand temps reconquis“ (Traversée 241), durch die er sich als lebendiges Glied eines<br />

Naturzusammenhangs sieht, dessen Elemente für ihn direktes Gegenüber werden. Seine<br />

Beziehung zur Natur ist eine personale, in der die Dinge und Phänomene „der Wirklichkeit<br />

[…] nicht hinsichtlich ihrer allgemeinen, generischen Qualitäten von Bedeutung sind, sondern<br />

als unmittelbar gegenwärtige und individuelle Determinanten des eigenen Daseins erfahren<br />

73<br />

„C’est depuis ce jour-là que tout se brouille à l’intérieur de ma tête et que je ne sais plus compter les jours.“<br />

(Traversée 245)

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