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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Einleitende Überlegungen 17<br />

Das siebenbändige Romanwerk von Edouard Glissant aus Martinique, das sich über<br />

einen Erscheinungszeitraum von mittlerweile sechs Jahrzehnten erstreckt, stellt zweifelsohne<br />

den anspruchsvollsten und umfassendsten Versuch dar, der Antillenbevölkerung bei ihrer<br />

Suche nach einer neuen Identität beiseite zu stehen. Es beherbergt eine thematische und<br />

topische Diversität, die die nachfolgenden Schriftstellergenerationen – allen voran die<br />

Autoren der Créolité – tiefgreifend beeinflusste und bis heute beeinflusst. Bei dem Entwurf<br />

eines genuinen Naturbildes geht Glissant mit einer Systematik vor, die in der frankophonen<br />

Literatur der Antillen beispiellos ist.<br />

Während sich die Kolonialliteratur und die Négritude der Polemik verschrieben hatten,<br />

sucht Glissant – wie Alexis – die Synthese der Landschaft. Nach der geographischen<br />

Auslotung und sprachlichen wie intellektuellen Neu-Besetzung des Raums in La Lézarde<br />

knüpft Glissant in seinen weiteren Romanen ein Netz aus Geschichten, Kulissen und<br />

Personen, das die verschiedenen (Natur-)Schauplätze seiner Handlungen in der Synchronie<br />

miteinander verknüpft und kollektives ‚Hinterland’ schafft. Auf der Ebene der Diachronie<br />

wird die Bedeutsamkeit einiger Schauplätze gestaffelt und verleiht so der Landschaft eine<br />

Tiefe, die nicht nur die Kleinheit des Raums, sondern auch dessen Geschichtslosigkeit<br />

kompensiert. Die Natur fungiert dabei als Palimpsest, in das Glissant die immer gleiche<br />

Geschichte eingraviert, die sich in Form einer Urszene in immer neu abgewandelter Form<br />

wiederholt. Die Romanhandlung bewegt sich im Spannungsbogen zwischen dem Zerfall der<br />

Geschichte in ihre Variationen und ihrer extremen Konzentration und macht so die<br />

Komplexität des zugrunde liegenden Konflikts offenbar.<br />

Seit den 80er Jahren zeichnet sich eine Veränderung in Glissants Werk ab. Dabei sind<br />

zwei gegenläufige Tendenzen zu beobachten. Zum einen führt er seine Technik der<br />

Verdichtung des Raums und Multiplikation der Geschichten auf der globalen Ebene fort, um<br />

die Welt mit einem rhizomartigen Netz zu umspannen und die Welt „en relation“ zu setzen.<br />

Im Widerspruch zu dieser Entgrenzung ist eine Rückzugsbewegung in das Lokale<br />

festzustellen, die den Identitätsverlust kompensiert, indem die Verankerung in der Heimat<br />

verstärkt wird. Anhand des Beispiels der Frauen veranschaulicht Glissant eine Möglichkeit<br />

des sinnvollen Daseins, ohne die lokalen Interessen zu vernachlässigen. Die Frauen leiten<br />

einen Paradigmenwechsel innerhalb der Bildwelt des Romanwerks ein, indem sie sich nicht<br />

mehr an den „großen“ Schauplätzen der verdichteten Geschichte, sondern am Kleinen,<br />

Privaten, Persönlichen orientieren – eine Entwicklung, die Glissant auf der Ebene des<br />

Naturempfindens der Protagonisten ausdrückt. Mit der Neuorientierung verändert sich auch<br />

Glissants Tonfall, der die Resignation der Romanfiguren durch Ironie und Humor abfedert.

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