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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Die Natur der Antillen im Spiegel der Kolonialliteratur 43<br />

1.4 Die melancholische Natur<br />

Der in Mariage de Loti am stärksten vertretene Landschaftstyp ist der locus melancholicus.<br />

Aus der konventionalisierten landschaftlichen Umgebung, die in der Malerei den Hintergrund<br />

der Darstellung der personifizierten Melancholie bildete 33 , entwickelte sich ein literarischer<br />

Landschaftstyp, der seinerseits als melancholisch bezeichnet wurde, doch seinen<br />

ursprünglichen Inhalt im Laufe des 18. Jahrhunderts verlor 34 und im vorliegenden Roman nur<br />

als leere Hülle übergestülpt ist. Die Protagonisten Loti 35 und die Eingeborene Rarahu sind,<br />

um mit Reif zu sprechen, keine melancholischen Helden im Sinne der antiken Lehre der<br />

Körpersäfte, sondern „durch eine oberflächlich-ichbefangene, allenfalls sentimentalische<br />

Haltung“ 36 charakterisiert.<br />

Interessant ist, dass neben dem Europäer auch die „Wilde“ durch Verlusterfahrungen<br />

geprägt ist, die zu einem Bruch mit ihrer ursprünglichen Umgebung führen. Während Loti,<br />

„lui aussi un petit sauvage“ (Loti 76), aus der ländlichen, naturverbundenen Umgebung<br />

herausgerissen und in das Großstadtleben 37 geschleudert wird, muss Rarahu ihre<br />

Heimatinsel 38 noch im Kindesalter verlassen. Rarahu vertritt also nicht den Typus des<br />

ursprünglichen bon sauvage nach Rousseau, sondern ist, bevor sie noch mit der europäischen<br />

Zivilisation in Kontakt tritt, eine gebrochene Figur 39 .<br />

Gleiches gilt für die Darstellung Tahitis, dessen Verkörperung das junge Mädchen ist.<br />

Die Insel und ihre Einwohner, z. B. Rarahu und die Kinder der königlichen Familie, sind<br />

durch den Kontakt mit der europäischen Kultur, „notre sotte civilisation coloniale, toutes nos<br />

conventions, toutes nos habitudes, tous nos vices“ (Loti 7), zum Tode verurteilt, wie sowohl<br />

Loti als auch die Königin Pomaré feststellen. Dies kann Lotis Begeisterung vom Leben auf<br />

der Insel jedoch nur noch verstärken. Er ist vom „charme ultra-terrestre de ceux qui vont<br />

mourir“ (Loti 226) bezaubert, genießt die traurige, immer moribunder werdende Stimmung.<br />

Es wirkt erstaunlich, dass sogar die Inseln des Archipels, „où la civilisation n’est pas venue“<br />

(Loti 36), das Verlangen Lotis nach bittersüßen, melancholischen, träumerischen Naturszenen<br />

befriedigen, also gerade nicht ursprünglich-naiv, sondern melancholisch dargestellt werden.<br />

33 Man denke an die zahlreichen Melancholiedarstellungen in der Malerei, allen voran Dürers Kupferstich<br />

„Melancolia I“ von 1514.<br />

34 Zur Ikonographie und Entstehung des melancholischen Landschaftstypus’ cf. Helen Watanbe-O’Kelly, 1978,<br />

73-99.<br />

35 Da der Name des Autors mit dem des Protagonisten übereinstimmt, sei angemerkt, dass ich mich bei im<br />

Foldenden nur auf den Protagonisten beziehen werde.<br />

36 Wolfgang Reif, 1975, 38.<br />

37 Cf. „les agitations de l’existence européenne, […] le tourbillon de Londres et de Paris“ (Loti 75).<br />

38 Cf. „île perdue“ (Loti 4).<br />

39 Cf. „Rarahu pensive et sérieuse, au milieu de ce débordement de gaieté bruyante“ (Loti 168).

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