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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Die Verräumlichung des Neubeginns bei Jacques Roumain 57<br />

liberaler Intellektueller, der als einer der ersten der haitianischen Volkskultur Aufmerksamkeit<br />

und Hochschätzung entgegenbringt. Auf der anderen Seite wird ihm vorgeworfen, bei den<br />

verschiedensten politischen Terrorregimes bis in die 1960er Jahre mitgearbeitet zu haben,<br />

ohne gegen die ideologische Verdrehung und Ausnützung seiner Schriften zu protestieren.<br />

Roumains Bedeutung für die haitianische Selbstbehauptung liegt neben zahlreichen<br />

ethnologischen Studien und literarischen Produktionen vor allem darin, dass er, wie Depestre<br />

betont, die Rassenprobleme Haitis in den Zusammenhang der Klassenunterschiede setzt und<br />

in Opposition zu Duvaliers Griots-Bewegung eine Mythisierung des Rassenbegriffs<br />

vermeidet. Depestre zitiert aus Roumains Analyse schématique (1932-1934) folgende<br />

Passage, in der Roumain das Rassenvorurteil marxistisch interpretiert und einen eindeutigen<br />

Zusammenhang zwischen Rasse und Klasse herstellt:<br />

Il est impossible, dit-il, de voir dans le préjugé de couleur autre chose qu’une<br />

expression idéologique de l’antagonisme des classes, celui-ci réflétant à son tour<br />

les contradictions du système de production. C’est cette double imbrication dans<br />

l’infrastructure économique qui rend malaisée, pour un observateur superficiel,<br />

l’analyse d’un phénomène qui semble, à première vue, ne relever que de la<br />

psychologie. 3<br />

Roumain sieht in den politischen Unruhen des unabhängigen Haitis also nicht die Auswirkung<br />

von rassischen Unterschieden, sondern führt sie auf die wirtschaftlichen Strukturen des<br />

Landes zurück, die einer mehrheitlich verarmten und ausgebeuteten Unterschicht eine kleine<br />

elitäre, Wirtschaft und Politik kontrollierende Oberschicht gegenüberstellen. Diese<br />

sozialistische Sichtweise kommt in dem Roman Gouverneurs de la rosée 4 , den Roumain etwa<br />

zeitgleich zur Entstehung der ersten Texte Joseph Zobels auf Martinique schreibt, klar zum<br />

Ausdruck 5 .<br />

3 Depestre, 1989, 137.<br />

4 Jacques Roumain, Gouverneurs de la rosée (1944. Pantin: Le Temps des Cerises, 2000). Im Folgenden werden<br />

Zitate mit der Abkürzung Gouverneurs und der jeweiligen Seitenzahl gekennzeichnet.<br />

5 Der Protagonist Manuel wurde während seines Aufenthalts in Kuba mit der Arbeit von Gewerkschaftlern und<br />

Kommunisten konfrontiert, die dafür kämpfen, die Arbeitsverhältnisse der ausgebeuteten Zuckerrohrarbeiter zu<br />

verbessern. In sein Dorf zurückgekehrt, versucht Manuel seine Erfahrungen auch auf die Situation der<br />

Dorfbewohner zu übertragen. Seinem Freund Laurélien predigt er vom Zusammenhalt der armen Schichten, die<br />

sich gemeinsam gegen die Ausbeuter in der Stadt wehren und versuchen sollten, ihre Lebenssituation zu<br />

verbessern: „[N]ous sommes ce pays et il n’est rien sans nous, rien du tout. Qui est-ce qui plante, qui est-ce qui<br />

arrose, qui est-ce qui récolte? Le café, le coton, le riz, la canne, le cacao, le maïs, les bananes, les vivres et tous<br />

les fruits, si ce n’est pas nous, qui le fera pousser? Et avec ça nous sommes pauvres, c’est vrai, nous sommes<br />

malheureux, c’est vrai, nous sommes misérables, c’est vrai. Mais sais-tu pourquoi, frère? À cause de notre<br />

ignorance: nous ne savons pas encore que nous sommes une force, une seule force: tous les habitants, tous les<br />

nègres des plaines et des mornes réunis. Un jour, quand nous aurons compris cette vérité, nous nous lèverons<br />

d’un point à l’autre du pays et nous ferons l’assemblée générale des gouverneurs de la rosée. Le grand coumbite<br />

des travailleurs de la terre pour défricher la misère et planter la vie nouvelle.“ (Gouverneurs 72). Dass Roumain<br />

Manuel in diesem Monolog den Titel des Buches in den Mund gelegt hat, zeigt, wie ernst es Roumain mit dieser<br />

Botschaft ist. Äußerungen im Sinne des Sozialismus sind allerdings nicht auf Manuels Person beschränkt. Auch<br />

der Erzähler selbst wirft bisweilen sozialistische Betrachtungen in den Text ein (Cf. Gouverneurs 21).

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