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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Die Natur der Antillen im Spiegel der Kolonialliteratur 46<br />

So steht am Ende des Romans nur noch Tod und Schrecken. Nichts mehr ist zu spüren vom<br />

anfänglichen Charme, den die dekadente Kultur und die überreife Natur auf Loti ausgeübt<br />

haben. Es handelt sich um eine Traumschilderung, eine „vision confuse de la nuit“ (Loti 311),<br />

in der die Natur nicht mehr melancholisch oder phantastisch beschrieben, sondern das „chaos<br />

final“, „le grand soleil mort“ einer Horrorvision dargestellt wird. Bemerkenswert ist, dass sich<br />

der Träumende in sicherer Entfernung vom Schauplatz des Traumes befindet. Die Agonie der<br />

Natur und seiner Freundin können ihm nichts anhaben. Zum anderen erwächst die Szene<br />

freilich erst seiner Phantasie, ist Produkt seiner Einbildungskraft. Loti selbst ist es, der<br />

Rarahus Tod in Szene setzt, um, wie man meinen möge, sich noch ein letztes Mal an traurigschönen<br />

Erinnerungen laben zu können. Das Ende des exotischen Traums, seiner Figuren und<br />

seines Schauplatzes steht schon am Beginn des Romans fest. Der Niedergang, das langsame<br />

Abfaulen und Austrocknen der Natur, das Hinsiechen der Tahitianer sind vorprogrammiert,<br />

oder wie es Queffelec ausdrückt: „Ce n’est qu’à partir du moment où le lieu exotique figure à<br />

la fois comme l’objet du désir et comme sa négation, comme espace de jouissance et comme<br />

espace de mort, qu’il deviendra l’espace du roman dans son ensemble“ 40 .<br />

Der Roman nimmt die Wirklichkeit der Natur und Kultur durch ein „prisme enchanteur“<br />

(Loti 43, 309) wahr, wie es in der Entwicklung der Naturdarstellungen von einer rationalen<br />

Perspektive hin zu der des unreflektierten Traums deutlich wird. Während sich Loti anfangs<br />

aufgrund seines reflexiven Bewusstseins nicht gänzlich dem Charme der Inseln hingeben<br />

kann oder will, tritt das Traumhafte seiner Naturbeschreibungen zunehmend in den<br />

Vordergrund, bis hin zu einer Passage, in der er fiebernd dem Urteilszweifel der<br />

phantastischen Natur unterliegt und nicht mehr zu unterscheiden weiß, ob die geisterhafte<br />

Belebung der Natur der Realität entspricht oder nicht (Loti 255).<br />

Der räumlich entfernte Ort ist darüber hinaus ein zeitlich weit zurückliegender, dessen<br />

Natur auf den Beginn der Welt (Loti 147) verweist 41 . Auch hierbei handelt es sich um eine<br />

Projektion des sentimentalischen Helden auf die Natur Tahitis, denn die Insel ist „le lieu des<br />

rêves de mon enfance“ (Loti 5), wie Loti in einem Brief an seine Schwester schreibt. An<br />

anderer Stelle heißt es: „Tous ces sites étaient déjà vus, tous ces noms étaient connus, tous ces<br />

personnages sont bien ceux qui jadis hantaient mes rêves d’enfant, si bien que par instants<br />

c’est aujourd’hui que je crois rêver…“ (Loti 44). Der Natur wird die Präsenz abgesprochen,<br />

sie wird zum bloßen der Kindheit zugehörigen Traum erklärt bzw. zur Vergangenheit<br />

degradiert.<br />

40 Lise Queffelec, 1988, 357.<br />

41 Cf. „physiognomie antediluvienne“ (Loti 129), „premiers âges du monde“ (Loti 129).

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