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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Die Stille bei Daniel Maximin 190<br />

À la clarté des lucioles commence la nuit une éruption de cris de misère et de joie,<br />

de chants et de poèmes d’amour et de révolte, détenus dans la gorge d’hommes et<br />

de femmes qui s’écrivent d’île en île, déshabillés d’angoisse, une histoire<br />

d’archipel, attentive à nos quatre races, nos sept langues et nos douzaines de<br />

sangs. (Isolé 9)<br />

Während die zweite Hälfte des Satzes, die die kulturelle Pluralität der Antillaner hervorhebt,<br />

in fast keiner Publikation zu Maximin fehlt, wird der Anfang des Satzes in der Forschung<br />

kaum zur Kenntnis genommen. Der Beginn des Satzes legt nahe, dass es zu keinem richtigen<br />

Dialog zwischen Männern und Frauen kommen wird, handelt es sich doch um gebrochene<br />

Personen (ils/elles). Die Worte bleiben trotz des gewaltigen Drangs zur Artikulation, der mit<br />

der Heftigkeit eines Vulkanausbruchs verglichen wird, den Bewohnern im Halse stecken. Der<br />

Austausch zwischen ihnen ist stark eingeschränkt. Sie können nur schriftlich mit der<br />

Außenwelt, ja mit sich selbst in Kontakt treten. Als Kompensation der fehlenden<br />

Kommunikationskompetenz schreiben sie sich eine Geschichte, wie dies Marie-Gabriel im<br />

Roman selbst vorführt. Gleiches lässt sich dem Schluss des Prologs entnehmen, der in<br />

abgewandelter Form sowohl im letzten Satz von L’Isolé Soleil als auch im ersten Satz von<br />

Soufrières aufgenommen wird: „Les mots ne sont pas du vent. Les mots sont des feuilles<br />

envolées au risque de leur racines, vers les récoltes camouflées au fond du silence et de la<br />

mer.“ (Isolé 9). Die Worte sind zwar nicht nur Wind, aber sie machen sich wie vom Baum<br />

fallende Blättern auf den Weg in einen Bereich absoluter Stille, wo es keinen Adressaten für<br />

sie geben wird. Sie sind ein „message en dérive“ (Soufrières 120). Wenn sie denn jemals<br />

geerntet werden können, dann nur auf eine getarnte, verborgene Weise.<br />

In L’Île et une nuit widmet sich der erste Teil des siebten und letzten Kapitels der<br />

Trennung des Erzähler-Autors von Marie-Gabriel. Da er dort den metaphorischen Tod seiner<br />

literarischen Schöpfung vorbereitet, ist das Kapitel eine Art Nachruf, ein Epilog. Dort nimmt<br />

der Erzähler-Autor den Gedanken der Sprachlosigkeit des Prologs wieder auf und verleiht<br />

ihm Nachdruck. An Marie-Gabriel richtet er die Worte: „Tu entrouvres la bouche. Ton sang<br />

transpire des caillots de silence. Pourquoi n’as-tu jamais crié?“ (Île 157f). Wie der Ausbruch<br />

des Vulkans in Soufrières ist der explosive Schrei Marie-Gabriels ausgeblieben. Das<br />

Schweigen ist Marie-Gabriel unter die Haut und an die Substanz gegangen: ihr Blut droht<br />

durch das unterdrückte Wort zu stocken. Die rege Schreibtätigkeit konnte ihr anscheinend den<br />

Schrei und das emotionale Sich-Aussprechen nicht ersetzen. Der ausbleibende Schrei und der<br />

ausbleibende Ausbruch umrahmen die Trilogie, in der fast alle Romanfiguren auf der Suche<br />

nach Selbstausdruck sind. So wird letztlich der nicht ausbrechende Vulkan zum Symbol der<br />

Unterdrückung innerer Triebe und Gefühle. Die Metapher des Nicht-Ausbruchs rückt in der<br />

Negation an die Metapher des Vulkanausbruchs bei Césaire und der Lyrik der Négritude

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