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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Einleitende Überlegungen 9<br />

Einleitende Überlegungen<br />

1 Warum die Natur?<br />

Der „Tod der Natur“ scheint im 21. Jahrhundert besiegelt. Damit ginge ein Prozess zu Ende,<br />

der mit dem in der Aufklärung aufkeimenden Herrschaftsanspruch des Menschen und der<br />

menschlichen Vernunft über die Natur begonnen und im technisierten Industriezeitalter sein<br />

Ende gefunden hat. Die Natur wirkt gebändigt, geordnet, durch den Begriff der Künstlichkeit<br />

ersetzt. Der Mensch ernennt sich eigenmächtig zum Schöpfer der Welt. Schon der Dichter<br />

besang Paradis artificiels 1 , synthetische Kunstwelten, aus denen die Natur ein für alle Mal<br />

verbannt ist. Die Natur ist nicht nur berechenbarer Faktor des sie ausschließenden modernen<br />

Lebens, sie wird als ästhetisches Vorbild von der Kunst ersetzt. Diese setzt der imitatio<br />

naturae abstrakten Konstruktivismus und Selbstreferentialität der sprachlichen Zeichen<br />

entgegen. Der Keil, den die Neuzeit zwischen die Natur und den sich über den Geist<br />

definierenden Menschen geschlagen hat, wird offenbar zum Fallbeil, das das Haupt der Natur<br />

zum Rollen bringt.<br />

Dennoch ist es voreilig, das Ende der Natur herbeireden zu wollen, denn der Mensch ist<br />

selbst ein Teil von ihr. Durch die Hintertür schleicht sich die Natur wieder in Kunst und<br />

Leben ein: Neuere Tendenzen in der zeitgenössischen Literatur Europas und Nordamerikas<br />

lassen beispielsweise erkennen, dass an die Stelle der wilden äußeren Natur, der der Mensch<br />

einst hilflos gegenüberstand, eine neue Komponente getreten ist, die eine ganz ähnliche<br />

Funktion vertritt: Der Kampf um die Vorherrschaft zwischen Geist und Natur scheint sich ins<br />

Innere des Menschen verlagert zu haben, in das Naturwesen Mensch selbst. Ist die äußere<br />

Natur völlig beherrscht, gezähmt und unterworfen, so ist die Natur des Menschen, seine<br />

Triebnatur, umso ungezügelter und unberechenbarer.<br />

Auch wenn der Rückzug in eine ursprüngliche, von der Technik unerreichte Natur<br />

ebenso obsolet geworden ist wie die Ästhetik der Naturmimesis, so bleibt die Natur doch<br />

selbst in der Moderne erhalten, und sei es auch nur in Form der Negation, des Postulats einer<br />

antinaturalistischen, einer nicht-mimetischen oder autonomen Kunst. Sie existiert weiterhin<br />

als räumlicher Bezugspunkt des Menschen, wie Riedel schreibt, als „Spiegelungsraum<br />

menschlicher Subjektivität“ 2 , als „Bildspender“ 3 , oder, um mit Seels Ästhetik der Natur zu<br />

sprechen, als „unentbehrliche Metapher […] der Beschreibung menschlichen Daseins“ 4 : „Im<br />

Medium dieser Bilder erfährt das Ich, auch das unter dem Rationalitätsdruck der Moderne<br />

1<br />

Ich beziehe mich auf Baudelaires Paradis artificiels. Cf. Charles Baudelaire, 1961, 321-464.<br />

2<br />

Wolfgang Riedel, 1996, 1417.<br />

3<br />

Ibid.<br />

4<br />

Martin Seel, 1996, 341.

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