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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Edouard Glissant: hagiographe des sites 135<br />

Romans sind eine Gruppe jugendlicher Aktivisten um Mathieu Béluse, die sich nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg für die Autonomie der Insel einsetzt und auch nicht davor zurückschreckt,<br />

im Namen der Gruppe das neue Mitglied Thaël mit der Ermordung des politischen<br />

Widersachers Garin zu beauftragen. Glissant setzt die intellektuelle Inbesitznahme der Insel<br />

durch die Jugendlichen parallel zur konkreten Kontaktnahme mit dem Raum. Das Begreifen<br />

der Natur wird wörtlich genommen und findet in Mycéas tastender Fortbewegung, mit der sie<br />

sich nachts einen Weg durch den Wald bahnt, seine räumliche Umsetzung 4 . Mathieu stellt die<br />

Inventarisierung des Landes an den Beginn des politischen Kampfes um Selbstbestimmung:<br />

„Voilà. Il avait compris que cette terre qu’ils portaient en eux, il fallait la conquérir. Non pas<br />

seulement dans la force des mots, mais concrètement, chaque jour, qu’ils en aient l’usufruit, le<br />

bénéfice, qu’ils en fassent l’inventaire et en disposent librement.“ (Lézarde 58).<br />

Weite Teile des Romans stellen Beschreibungen dar, wie Mathieu und seine Freunde<br />

den Naturraum der Insel durchschreiten. Sie sind unablässig unterwegs, laufen von Norden<br />

nach Süden, von Osten nach Westen, von den Bergen ins Tal, von der Stadt in die Ebene,<br />

durch den Wald und die Zuckerrohrfelder. Thaël, der zusammen mit Garin den gesamten<br />

Flusslauf der Lézarde von der Quelle bis zum Mündungsdelta am Meer abläuft, setzt die<br />

Entdeckungswanderungen mit einem Akt der Namensgebung und Neubenennung gleich:<br />

Et puis la Lézarde, depuis la source jusqu’à la mer. Et avec la Lézarde j’ai connu<br />

la terre, les mornes rouges, la terre grasse, les sables. Bon. Avec les amis nous<br />

avons découvert le pays. Nous ne savions rien, mais nous avons regardé à la fin.<br />

Et à la fin nous avons pu le nommer, en toute connaissance. (Lézarde 241)<br />

Das Ziel dieser Wanderungen ist die Zusammenführung der Landschaften zu einer Einheit, zu<br />

einem „pays“, oder, um noch einmal auf die oben zitierte Passage aus Tout-monde<br />

zurückzukommen, die Glissant wenig später mit einem Zusatz versieht: „Si vous ne<br />

comprenez pas la relation de tous ces paysages, vous ne comprenez pas le pays.“ (Tout-monde<br />

403). 5 Erst wenn die Einzelbestandteile der Landschaft zueinander in Verbindung gesetzt<br />

werden können und die in die Landschaft eingeschriebene Geschichte der Insel ihre<br />

Beachtung findet, erhält der Naturraum eine neue Bedeutung und damit eine neue Identität.<br />

4 Cf. Lézarde 59f.<br />

5 Die enge Verknüpfung von Raum und Identität zeigt ein anderes Beispiel der Namensgebung in Glissants<br />

viertem Roman La case du commandeur (1981). Dort beschreibt Glissant, wie Anatolie Celat, der Stammvater<br />

der Familie Celat, als Erster einen Familiennamen erhält: Celat. Zur Zeit der Sklaverei war dies unüblich. Den<br />

Namen Celat bekommt Anatolie, weil er laufend zu einer neuen Affäre mit einer Frau unterwegs ist und so<br />

beständig die Gegend durchstreift. In den Augen der anderen treibt er ‚ceci, cela’. Durch das Durchqueren des<br />

Raums eignet sich Anatolie nicht nur den Raum selbst an, sondern auch eine eigene Identität. In seinem Namen<br />

wird das Moment des Laufens fixiert: „Anatolie Celat fut peut-être le premier de notre sorte à gagner, si c’est<br />

gagner, un nom de famille. Il le devait à cet appétit de bouger qu’il ne put jamais refréner. […] Il n’avait donc<br />

pas douze ans qu’on demandait partout à la volée: „Où est passé cet Anatolie? Et qu’on répondait tout aussitôt,<br />

avec des mines et des soupirs: par-ci, par-là.“ In: Edouard Glissant, La case du commandeur (Paris: Gallimard,<br />

1997 (d)): 94. Im Folgenden werden Zitate aus diesem Roman mit dem Kurztitel Case und der jeweiligen<br />

Seitenzahl versehen.

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