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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Das Romanwerk von Jacques Stephen Alexis 69<br />

Schon der Name Sainclairs legt nahe, dass „saint“ 12 und „clair“ die Ideale sind, an denen sich<br />

Roger trotz seiner schwarzen Hautfarbe orientieren wird. Das Helle scheint im Gegensatz zum<br />

Dunklen das Gesündere, „le plus sain“, zu sein. Innerlich fühlt er sich bereits ganz als Weißer<br />

und kann sich doch seiner störenden Hautfarbe nicht entledigen:<br />

Sur son lit, il s’est assis. Sa tête enfiévrée s’est inclinée sur sa poitrine. Il l’a<br />

relevée et a vu quelques livres aux belles reliures, sur une table. Il a gémi. ‚C’est<br />

eux qui m’ont perdu, en aiguisant trop ma sensibilité et mon jugement. Ils me<br />

proposaient une vie qu’on me refuse. On m’a appris trop de grec et de latin. Si<br />

j’étais un nègre solitaire et nu dans ma forêt, je serais heureux.’ (Nègre 130)<br />

Für Sainclair sind nicht schwarz und weiß die herrschenden Kategorien. Er stellt vielmehr<br />

dem ungebildeten, aber glücklichen Bauern den gebildeten, aber unglücklichen Zivilisierten<br />

gegenüber. Nicht der Rassismus ist an der Katastrophe der Romanhandlung schuld, sondern<br />

die Tatsache, dass Sainclair die Wege des Schwarzen verlassen und ein Feld betreten hat, das<br />

eigentlich nicht für ihn bestimmt ist. Der Konflikt der diskriminierten Schwarzen gegen die<br />

Weißen wird zugunsten des Gegensatzpaares naiv versus sentimentalisch aufgelöst. So pflanzt<br />

sich der Rassismus unter dem Deckmantel der Parteiergreifung fort. 13 Sainclairs<br />

Zugehörigkeit zur „weißen“ oder „schwarzen“ Kultur bleibt letztlich in der Schwebe. Der<br />

Roman endet, bevor klar wird, ob Sainclair die Integration in Frankreich gelingen wird.<br />

Sainclairs Charakter ist ambivalent und undefiniert. Der Roman versieht ihn mit dem<br />

Attribut der Maske 14 . Und tatsächlich kann Sainclair alle erdenklichen Eigenschaften<br />

annehmen. Mal ist er dem Selbstmord nahe, mal unerbittlicher Freiheitskämpfer, mal<br />

Kommunist und im gleichen Atemzug Verfechter des Patriarchats, mal der stolze Liebhaber<br />

und dann wieder der um Liebe winselnde Hund 15 . Seine Augen sind „doux et durs“ zugleich,<br />

sein Profil „éloigne et attire“ (Nègre 6). Er hasst und liebt die schwarze Rasse 16 genau wie er<br />

zwischen zwei Arten von Afrika unterscheidet. Die eine Seite, die auf die volkstümlichvoudoueske<br />

Prägung Haitis abzielt, hasst er: „Je déteste cette Afrique instinctive, cette<br />

Afrique à tam-tam, à gris-gris, à plumet; toujours en quête de merveilleux. Celle-là est très<br />

loin de moi.“ (Nègre 53f). Von der anderen Seite Afrikas, die ihm demnach näher stehen<br />

12<br />

Am Ende des Romans bedauert Sainclair „d’avoir désappris les prières de son enfance catholique“ (Nègre<br />

171).<br />

13<br />

Dass sich der Erzähler über die französische Kultur definiert, wird auch in einem Gespräch zwischen Gaude<br />

und ihrem Vater ersichtlich: „‚Jamais, je n’aurais cru, avant de venir dans cette île, que les Haïtiens fussent restés<br />

si français, de manières et d’éducation.’ ‚Tu veux railler papa? Un noir qui t’étonne par sa culture?’ répondit<br />

Gaude, narquoise. ‚Ton doute ne me surprend pas, ma chérie.’“ (Nègre 2).<br />

14<br />

Cf. Nègre 36, 58, 62, 84, 131, 162. Während das Innere der Schwarzen, wie der Roman wiederholt erwähnt,<br />

durch Masken verdeckt bleibt, gewährt das Innenleben der weißen Gaude dem Erzähler einen tiefen Einblick<br />

(Nègre 4).<br />

15<br />

Cf. Nègre 84.<br />

16<br />

Cf. Nègre 15 und 17.

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