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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Patrick Chamoiseaus problematischer Schritt in die Welt 330<br />

revenait, happé par une soif de mordre d’avaler de piocher de battre et de châtier<br />

qui le remplissait d’un bien-être infini. (Biblique 648f)<br />

Die Trennungslinie zwischen Leben und Tod, Schmerz und Lust, Kampf und Liebe, Rauben<br />

und Schenken verschwimmt, wie sich die Grenzen zwischen beiden Leibern und zwischen<br />

Leib und Welt auflösen. Bald baden sie in einer Brühe aus Sperma, Exkrementen und<br />

Schweiß, die die Fische magisch anzieht. Die Grenzüberschreitungen mit Kalamatia<br />

vermögen so für einen Moment selbst Balthazars Sterilität aufzuheben: „Il ne récoltait rien,<br />

tout se dissipait dès que son sperme avait séche… – sauf peut-être avec Kalamatia: leur<br />

gommier se remplissait de ces poissons charmés par leurs sauces d’amour.“ (Biblique 660).<br />

Genauso schillernd wie die geschlechtliche Zugehörigkeit Kalamatias ist ihre<br />

unbekannte Herkunft: sie soll am Strand des Dorfes entdeckt worden sein, als eine Quallen-<br />

Kolonie die Bucht heimsuchte und das Fischen für einige Zeit unmöglich machte. Keiner<br />

weiß, wo sie hergekommen sein mag. Sie scheint ein Kind des Meeres zu sein. Kalamatia<br />

weckt die Erinnerung an eine andere mythologische Gestalt der Créolité, an Antilia aus Eau<br />

de Café von Raphaël Confiant. Die Namen Kalamatias und Antilias reimen sich nicht nur, die<br />

Frauen sind sich auch in weiterer Hinsicht ähnlich. Beide stammen aus dem Meer, haben<br />

Fisch-ähnliche Eigenschaften 123 und scheinen eines Tages an Land gespült worden zu sein.<br />

Sie handeln instinkthaft und haben einen ungebändigten sexuellen Appetit. Tod und Leben<br />

liegen für beide nahe beieinander. Während Antilia mehrmals stirbt und doch weiterlebt, geht<br />

wie durch ein Wunder Kalamatia lebendig aus der blutigen Schlacht mit dem Seeungeheuer<br />

hervor. Als Balthazar das Tier besiegen kann, gibt es die Frau aus seinem Reich frei, und<br />

Kalamatia atmet, obwohl sie minuten- oder gar stundenlang unter Wasser war.<br />

Die Identitäten beider jungen Frauen sind fließend. Antilia wie Kalamatia befinden sich<br />

in ständiger Metamorphose, die ihr Wesen schillern lässt wie die Schuppen der Fische.<br />

Während Antilia als Verkörperung der kreolischen Antillen fungiert, repräsentiert Kalamatia<br />

die Memoria der karibischen Indios. In ihren Ohren, ja in ihrem ganzen Körper hallt das<br />

Wehklagen des ausgerotteten Volkes, das sie nur während rauschhafter Exzesse wie im Boot<br />

mit Balthazar übertönen kann. In Kalamatias Namen und ihrer Person wird die Erinnerung an<br />

das Unglück wachgehalten. Dass das Morden an den Indios mit der Ankunft der europäischen<br />

Kolonialisten begann, veranschaulicht die Wortwahl in der Beschreibung von Kalamatias<br />

Herkunft: „Elle était apparu sur la plage, petite-fille sans parole, un jour qu’une marée de<br />

méduse colonisa la rade.“ (Biblique 655). In dem Augenblick als die Bucht kolonisiert wird –<br />

123 Kalamatias Speichel erinnert Balthazar an den Geschmack von Fisch (Cf. Biblique 646), ihr Geschlechtsteil<br />

an einen Krebs (Cf. Biblique 647) und ihre Umarmung an die eines Tintenfisches, der sich an ihm festsaugt (Cf.<br />

Biblique 646).

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