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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Karnevalistisches Naturerleben: Eau de Café von Raphaël Confiant 263<br />

Die Menschen befinden sich in einem wahnsinnsträchtigen Delirium. Vergeblich<br />

erklingen die groteskerweise auf Kochtöpfen getrommelten Beschwörungen afrikanischer und<br />

indischer Götter, „reniés depuis des siècles de temps“ (Eau 376), vergeblich auch die<br />

Hilferufe im Radio, das unter dem Gewicht einer bärtigen Ratte in den Fluten versinkt. Als<br />

Bec-en-Or - man beachte seinen sprechenden Namen - am Fuße der Statue Kaiserin<br />

Josephines masturbiert, erreicht die Komödie ihren Höhepunkt: das todbringende Meerwasser<br />

vermischt sich mit dem Schaum seines Spermas, und sein Zorn auf die Gesellschaft, die ihre<br />

existentiellen Schätze, ihre ignames-Felder, ihre Sprache, den modernen Götzen Beton,<br />

Bereicherung, Heuchelei, Ausbeutung und Verblendung zur Prostitution freigegeben hat,<br />

entlädt sich in bösen Flüchen. Am Ende darf die Moral der Geschichte nicht fehlen: „On<br />

meurt comme on a vécu,“ wie Bec-en-Or zu sagen pflegt, „de toute façon, le nègre en enfer<br />

finira sa carrière“ (Eau 378f). Wie ein Kinderreim wendet Bec-en-Ors Schlusskommentar<br />

trotz seines ernsten Inhalts die absurde Szenerie ins Spielerische, ins Volksbühnenhafte.<br />

Mit steigendem Wasser drängt das Meer der Bevölkerung seine Präsenz auf. Die<br />

Menschen können es nicht länger ignorieren. Sie werden gezwungen, in den Meeres-Spiegel<br />

zu blicken und sich selbst zu erkennen. Bec-en-Ors Urteil fällt nicht gerade positiv aus: „Cette<br />

ville était une verrue à la surface de la terre, cette île un chancre purulent sur le dos de deux<br />

mers […].“ 31 Mit der Reflexion im Meer und über das Meer verbindet sich die<br />

Selbstreflexion. Das Ignorieren des Meeres bedeutet verhinderte Reflexion des In-der-Welt-<br />

Seins und Verdrängung der Her-kunft über das Meer. Im Zentrum der Meeres-Problematik in<br />

Eau de Café steht also das Zurückweisen der Memoria, der kollektiven wie der individuellen<br />

– der Erzähler 32 sucht ja gerade am Meer und durch das Nachdenken über das Meer nach den<br />

eigenen Erinnerungen. 33 Während in Nuée ardente das aus dem Erdinneren hervordringende<br />

31 Dass sich die Insel „sur le dos de deux mers“ befindet, könnte auf die Gespaltenheit der Martinikaner<br />

zwischen Afrika und Europa verweisen (mer/mère). Confiant zitiert damit zum einen die Fixierung auf Europa<br />

und zum anderen die Négritude-Bewegung, die in einer Gegenbewegung ihr Interesse auf Afrika als den<br />

Mutterkontinent konzentrierte. Beides führt indessen dazu, dass die Insel wie ein Geschwür auf dem Wasser<br />

liegt.<br />

32 Wie der Erzähler zentriert auch Emile seine Suche auf das Meer. Mit Meeresschaum im Gesicht und einer<br />

„lueur folle“ (Eau 82) sagt er zu Eau de Café, die seine Gedanken nicht ernst nimmt: „Madame... Ah,<br />

madame!... nous allons trouver le chemin. Nous le cherchons depuis une éternité, nos plantes de pieds sont usées<br />

à force de tourner sur nous-mêmes mais bientôt nous saurons où aller. Ce bourg sortira de son manège de<br />

chevaux de bois, je vous le promets... ce pays-là aussi...“ (Eau 83). Auch hier ist die Kleinstadt durch das<br />

zirkushafte entfremdete Gehabe, durch die Falschheit der Pferde, die nicht aus Fleisch und Blut sondern aus<br />

Holz sind, gekennzeichnet. Emile sieht voraus, dass das unaufhörliche Im-Kreis-Drehen der Bewohner ein Ende<br />

haben wird. Confiant setzt jedoch einen pessimistischen Akzent: Der Wahnsinn, der sich an Emiles Augen<br />

ablesen lässt, führt ihn in den Selbstmord. Es ist nicht anzunehmen, dass es sich dabei um den Weg handelt, den<br />

er gesucht hat. Gerade der Traum des Erzählers scheint seine Hoffnungen zu verhöhnen.<br />

33 Das Motiv der Suche ist zentral für die Autoren der Créolité, ja sie definieren die Créolité über den Akt des<br />

Suchens: „Si bien que, s’agissant de la Créolité dont nous n’avons que l’intuition profonde, la connaissance<br />

poétique, et dans le souci de ne fermer aucune voie de ses possibles, nous disons qu’il faut l’aborder comme une<br />

question à vivre, à vivre obstinément dans chaque lumière et chaque ombre de notre esprit. Vivre une question

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