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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Die Natur der Antillen im Spiegel der Kolonialliteratur 29<br />

Romanen Chateaubriands oder in den mit dem American Dream einhergehenden<br />

Abenteuerromanen festgeschrieben. Physisch wie intellektuell ergreift Europa von den neuen<br />

Erdteilen Besitz.<br />

Der Gestus dieser Besitzergreifung ist ein rein männlicher. Das entdeckte und eroberte<br />

Land, die Kolonie, wird im Modus der Weiblichkeit und Weichheit, bzw. Verweichlichung<br />

dargestellt. Spielen in den Texten die Ureinwohner, bzw. im Falle der Antillen die dorthin<br />

verschleppten Sklaven überhaupt eine Rolle, so treten vor allem Frauen in das Blickfeld der<br />

Europäer und erregen deren sexuelles Interesse. Männliche Vertreter der nativen Bevölkerung<br />

werden dagegen als Kinder beschrieben und stellen für den europäischen Mann keine<br />

ernstzunehmende Konkurrenz dar. Untrennbar verknüpft mit der exotischen Frau ist die<br />

Natur, die mit ihren Blüten und üppigen Gerüchen den idealen Schauplatz für die erotischen<br />

Phantasien des Europäers abgibt. Die weibliche Konnotation der Natur geht jedoch darüber<br />

hinaus: Motiviert durch die ökonomischen Interessen der Kolonialherren ist sie der fruchtbare<br />

Schoß, der nur darauf wartet, durch den Europäer gebändigt und fruchtbar gemacht zu<br />

werden. Die pointierte Gleichung Kolonie = Frau = Natur kann dem kolonialen Blick deshalb<br />

durchaus gerecht werden.<br />

Nach der rationalen Erfassung der Welt im 18. Jahrhundert, im Laufe derer alle Winkel<br />

der Erde kartographiert, Pflanzen- und Tierreich kategorisiert werden, gesellt sich zum Drang<br />

nach Neuem der Zivilisationsüberdruss des industrialisierten Europas, der natur- und<br />

lebensfeindlichen Großstädte, des entfremdeten Ich- und Wirklichkeitsbezugs. Das Bereisen<br />

fremder Länder und ungesehener Naturszenarien verlagert sich ins Innere der Schriftsteller<br />

und Rezipienten, das Schreiben und Lesen wird zur „rêverie“ 4 , zur Flucht in die eigene<br />

Einbildungskraft und Phantasie. Nicht der rationale Blick auf das Fremde, das Erkennen der<br />

Alterität als solcher steht fortan im Mittelpunkt, sondern die Potenzierung der Eigenerfahrung,<br />

materialisiert in der paradiesischen, melancholischen oder wilden Natur. Sie gibt<br />

spiegelbildlich die Seelenlage des Dichters wider und stellt den Ort dar, wo eine die eigene<br />

Selbsterfahrung zügelnde bürgerliche Zivilisation der Befriedigung der Wünsche und Triebe<br />

noch keine Schranken gesetzt hat. Die Natur fungiert als materialisierte Triebnatur, als<br />

Projektion des Eigenen auf das Fremde. Ihr Erfinden im Akt des Schreibens und Lesens<br />

sublimiert die unterdrückten Begierden in einem sensualen Wunschtraum, in dem Frau und<br />

Landschaft untrennbar denselben Zweck erfüllen 5 .<br />

4 Jean-Marc Moura, 1992a, 4.<br />

5 Auf den französischsprachigen Antillen wird die Literatur, die auf erotische Art die fremde Frau, meist eine<br />

Mulattin, in einer üppigen, die Sinne stimulierenden Natur in Szene setzt, doudouisme genannt (nach dem<br />

Begriff doudou für die sinnliche, willenlose, dem Europäer jeden Wunsch von den Lippen ablesende Frau).

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