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Eine Romanwelt der Gegensätze: Gisèle Pineau 207
die das Übel auf einen genealogischen Stamm reduziert, den Dorfbewohnern recht. Pineaus
Roman wird von einem schicksalsbetonten Fatalismus und einer Dämonisierung 3 beherrscht,
die scheinbar klar zwischen dem Guten und dem Bösen zu trennen weiß. 4
8.2 Die Inbesitznahme der weiblichen Körperlandschaft
Der Körper wird bei Pineau wiederholt im Modus der Landschaftsbeschreibung dargestellt.
Neben der negativen Variante der vom Wirbelsturm heimgesuchten und zerstörten Natur ist
Pineaus Lieblingsmotiv der Garten. In L’espérance-macadam beschreibt der Erzähler, wie
Eliette eines Morgens aufwachte und über Nacht zur Frau geworden war. Ihr Körper gleiche
nun einem Garten in großer Blütenpracht:
Elle avait eu seize ans. Se souvenait de ce matin-là, où son corps s’était levé de la
couche, tout différent, semblable à un jardin en grand bourgeonnement,
promettant pommes, prunes, fleurs et quantités d’oiseaux aux branches des piedsbois.
C’était comme si elle avait mûri en une seule nuit, dans le sommeil.
(Espérance 103)
Das Hauptmerkmal der Gartenlandschaft ist die Fruchtbarkeit: die Bäume stehen in voller
Blüte. Sie deuten auf reiche Ernte hin und beherbergen eine Vogelschar, die sich von den
Früchten ernähren kann. Die Parallelsetzung der Fruchtbarkeit der Frau, des Bodens und der
Natur erinnert an die Metaphorik der Kolonialliteratur.
Voll ausgekostet wird der Vergleich in einem weiteren Roman, La Grande Drive des
esprits, Pineaus Erstlingswerk. Der Roman ist in zwei Handlungsstränge aufgeteilt, die erst
am Ende des Texts zusammengeführt werden. Während sich ein Teil der Handlung auf die
Erzählerin konzentriert, eine junge Fotografin aus Pointe-à-Pitre, die während der 1960er
Jahre ins Erwachsenalter eintritt, ist der größere Teil des Romans der Familiengeschichte ihrer
Freundin Célestina gewidmet, die bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgt wird. Célestina
stammt aus einer ländlichen Gegend Guadeloupes, wo die Bevölkerung teilweise noch von
einer magischen Naturauffassung voller Geistwesen und Zauberei beherrscht wird. Im
Zentrum der Genealogie steht die Liebesbeziehung zwischen Célestinas Eltern Léonce und
Myrtha. Myrthas Körper nimmt in den Augen Léonces, der zwar seit langem in sie verliebt
3 Cf. auch eine Passage über den Zyklon von 1928 in Pineaus erstem Roman La Grande Drive des esprits (Paris:
Le Sepent à Plumes, Collection motifs, 1993.). Hier und im Folgenden werden Zitate mit der Abkürzung Drive
und der jeweiligen Seitenzahl gekennzeichnet. „En 1928, le démon parla dans les cieux, cracha, jura et frappa. Il
avala un vent-fiel et par scélératesse, souffla son haleine délétère à la face du peuple qui courbait l’échine ou
bien gobait des mouches au mitan de l’arc Caraïbe.“ (Drive 123).
4 Ein typischer Gedanke in Pineaus Roman ist daher auch, dass auf den antillanischen Nachfahren der schwarzen
Sklaven ein Fluch lastet: „Non,“ denkt Rosette, „rien n’avait changé depuis qu’on avait transbordé les premiers
Nègres d’Afrique dans ce pays qui ne savait qu’enfanter des cyclones, cette terre violente où tant de malédiction
pesait sur les hommes et femmes de toutes nations. Rien n’avait changé…“ (Espérance 177). Die Gewalttätigkeit
des Wirbelsturms dient als Abbild der Auswirkungen des Fluchs. „Enfanter des cyclones“ kann sich dabei auf
Männer wie Rosan oder auf das tatsächliche Naturphänomen des Zyklons beziehen.