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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Das Romanwerk von Jacques Stephen Alexis 88<br />

3.6 Voudou: compagnonnage de la terre natale<br />

Obwohl Alexis das Wunderbare als Ausgangsbasis für seinen Realismusbegriff sieht, steht er<br />

ihm zunächst kritisch gegenüber. Denn das Wunderbare entspringt einer Religion, der er wie<br />

jeder anderen Religion als Kommunist ablehnend begegnet. Alexis interessiert sich für den<br />

Voudou daher vor allem in formeller Hinsicht, wie Margaret Heady in ihrem Artikel zurecht<br />

betont 48 . Darüber hinaus dürfte Alexis vom Voudou deshalb fasziniert gewesen sein, weil er<br />

historisch die Rolle des Gegners zur herrschenden Ordnung einnahm. Während die<br />

katholische Kirche an der Seite der Eroberer und Herrscher stand, bildete sich der Voudou in<br />

der kreolischen Sklavengesellschaft und daher in Opposition zur herrschenden Macht. Im<br />

Gegensatz zu Roumain, der dem Voudou aus sozialistischer Sicht negativ gegenüberstand,<br />

erkennt Alexis das Widerstandspotenzial, das in der Volksreligion liegt. Statt die mythisch-<br />

magische Weltanschauung des Voudou zurückzuweisen, wertet er sie zur Inspirationsquelle<br />

für Kultur und Emanzipation auf.<br />

In Compère Général Soleil konnotiert Alexis den Voudou eindeutig negativ. Hilarion<br />

betrachtet es von Anfang an als Geldverschwendung, die kargen Ersparnisse für eine<br />

Zeremonie zur Besänftigung der Geister auszugeben. Wie Manuel aus Gouverneurs de la<br />

rosée ergreift jedoch kurzfristig das afrikanische Erbe Besitz von ihm 49 . Als er mit den<br />

Gebeten, Gesängen, Tänzen und Rhythmen konfrontiert wird, kann er sich nicht gegen deren<br />

Zauber wehren und geht wider Willen in der Gemeinschaft auf. Doch kurze Zeit später plagen<br />

ihn Kopfschmerzen 50 . Der Ritus hat ihn stumpfsinnig und apathisch gemacht: „Hilarion<br />

demeura longtemps devant la cour, l’esprit absent, stupide. En sueur.“ (Compère 135).<br />

Besonders kritisch wird der Text bei der Beschreibung einer blutrünstigen Zeremonie, die von<br />

einem Minister initiiert wird, der trotz seiner Bildung das metaphysische Weltbild des Volkes<br />

nicht abgelegt hat. Er steht „tout tremblant devant l’Olympe africain“ (Compère 186) und<br />

befolgt blind die „abbérations grégaires du vaudouisme“ (Compère 186) 51 . Positiv erscheint<br />

der Voudou in nur einem Fall: Der Voudou-Priester Frère Général, der sein Amt vor allem zur<br />

persönlichen Bereicherung nutzt, wird in Trance zu einem neuen, gereinigten Menschen und<br />

scheint für einen kurzen Moment seine menschlichen Schwächen abzulegen. Ich werte<br />

Alexis’ Interesse für den Voudou deshalb auch als anthropologische Neugier. In Compère<br />

48 Cf. Margaret Heady, 2002, 120.<br />

49 Cf. „C’est terrible comme l’Afrique pèse sur les pauvres nègres. Quand ils s’en croient détachés, elle surgit<br />

soudain, au moment où l’on s’y attend le moins, avec ses rythmes et ses mystères.“ (Compère 125).<br />

50 Die Kopfschmerzen fungieren bei Alexis anscheinend als Symbol für einen inneren Konflikt, der die<br />

Protagonisten momentan quält. Sie drücken wie im Fall der chronischen Kopfschmerzen von La Niña Estrellita<br />

in L’Espace d’un cillement psychisches Unwohlsein aus, das sich körperlich manifestiert.<br />

51 Der Minister dient als Beispiel dafür, dass der Voudou auch für die Elite Haitis von größter Bedeutung ist, wie<br />

Alexis in „Du réalisme merveilleux des Haïtiens“ betont. Cf. Jacques Stephen Alexis, 1956/57, 255.

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