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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Eine Romanwelt der Gegensätze: Gisèle Pineau 215<br />

reaktionär-nostalgischen Gartenmetapher würde sich somit in eine Kette weiterer Motive<br />

einreihen, die zum Ziel haben, das Scheitern eines traditionellen, exotisch-kolonialen und<br />

patriarchalen Weltverständnisses vorzuführen. In diesem Sinne zeigt Pineaus Werk<br />

tatsächlich einige innovative Züge. An manchen Stellen der Romane reißt jedoch die negative<br />

Hülle, in der die Suche nach einer primären Essenz stattfindet, auf, und die Utopie, dem<br />

wahren Wesen der Dinge auf die Spur zu kommen, erglänzt neu in verheißungsvollem Licht.<br />

Diese illusionären Momente der Romane Gisèle Pineaus – verbunden mit strukturellen<br />

Aspekten, die an die koloniale Dialektik anknüpfen – machen aus den Texten Zwitterwesen,<br />

die sich weder der postkolonialen noch der restaurativen Literatur mit kolonialem Impetus<br />

zuordnen lassen. Indem sich ihre Roman in einem Bereich des Dazwischen befinden, könnte<br />

gerade die Unmöglichkeit der Zuordnung zu einem einzigen Identitätskonzept die Aktualität<br />

Pineaus ausmachen.<br />

Die Suche nach der Essenz bzw. dem originären Zustand der Dinge, des Seins oder der<br />

Menschen ist ein Motiv, das in allen drei Romanen Pineaus präsent ist. In L’espérancemacadam<br />

versucht eine kleine Gruppe Rastafaris, in Savane Mulet ein „paradis sur terre“<br />

(Espérance 13) als Gegenwelt zur Realität aufzubauen. Als Rosette die Gemeinschaft auf der<br />

anderen Seite des Flusses zum ersten Mal besucht, findet sie einen veränderten Ort vor, der an<br />

Joabs paradiesischen Garten anknüpft:<br />

Ce jour-là, j’ai vu le paradis, l’amour et Dieu vivant posant sa main sur des<br />

hommes, des femmes et des enfants couleur de la terre. La place avait changé. Ils<br />

avaient nettoyé les abords de la rivière, repoussé les immondices dans un coin<br />

caché, élevé des carbets, assemblé des roches et retourné la terre pour planter le<br />

jardin. (Espérance 128)<br />

Aus ihrem Eden lässt sich die in den Augen der Rastas dem Untergang geweihte Welt nicht<br />

vertreiben: ihre Spuren, „les immondices“, werden nur versteckt, nicht aber getilgt. Das Ziel,<br />

einen Zustand der „perfection“, „plénitude“ (Espérance 132) und „pureté originelle“<br />

(Espérance 141) zu erreichen, steht von Beginn an auf wackeligen Beinen. Das Projekt der<br />

Gruppe, ein ursprüngliches, naturverbundenes Leben zu führen, scheitert vor allem daran,<br />

dass sie die Natur nicht kennen und nicht einzuschätzen vermögen. Ein erster Hinweis darauf<br />

sind die abgemagerten, knochigen Körper der Rastas, die sich nur von einer grünlichen,<br />

ranzigen Paste ernähren. Nach dem Tod Bob Marleys bricht die Gruppe in die Wälder auf, um<br />

sich einer „purification d’avant le Grand retour“ (Espérance 139) zu unterziehen. Dort spitzt<br />

sich die Ernährungslage der Gruppe lebensbedrohlich zu. Die Unkenntnis, mit der sie Früchte,<br />

Blätter und Wurzeln des Waldes konsumieren, löst Koliken und Fieberkrämpfe aus, die die<br />

ersten Todesopfer fordern. Die Toten scheinen für die Rückkehr zu Gott nicht würdig<br />

gewesen sein. Der Fanatismus gipfelt in Sister Beloveds vermeintlicher Vision Gottes:

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