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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Die Verräumlichung des Neubeginns bei Jacques Roumain 63<br />

argentée les lissait avec un léger frémissement, comme une chevelure dénouée.“<br />

(Gouverneurs 82). Unter dem männlichen Auge verwandelt sich die Landschaft in die zur<br />

Liebe bereite Frau. 9<br />

Neben der Erotisierung der Landschaft lässt auch die Aura der Ursprünglichkeit, in die<br />

Roumain die Romanfiguren hüllt, an den exotistischen Kolonialroman denken. Das<br />

Verhaftetsein der Protagonisten in einem unmittelbaren Naturzustand drückt sich in<br />

Gleichungen wie Mensch = Erde aus 10 . Die Erde wird zum Ebenbild des Menschen stilisiert<br />

und personifiziert. Die Passage, in der Manuel seiner Freundin die Quelle zeigt und sich mit<br />

ihr vereint, wird zur mythischen Urszene, zur Rückkehr an den Anfang der Welt mit dem<br />

Ziel, dort einen Neubeginn zu wagen. Dem Einwand Annaïse, die Quelle befinde sich am<br />

Ende der Welt, entgegnet Manuel:<br />

Au commencement du monde, tu veux dire. Parce que au commencement des<br />

commencements, il y avait une femme et un homme comme toi et moi; à leurs<br />

pieds coulait la première source et la femme et l’homme entrèrent dans la source<br />

et se baignèrent dans la vie. (Gouverneurs 119)<br />

Der Dialog an der Quelle wird von einer archaisch anmutenden, mythisch-sakralen<br />

Sprachgebung beherrscht. Wie in einer kultischen Urszene sprechen Manuel und Annaïse<br />

gegenseitig ihre Aussagen nach und bekräftigen feierlich, was der andere gesagt hat. Die<br />

Sätze erinnern an einfach strukturierte, kurze Gebetsformeln und nehmen in der Wortwahl<br />

den Ton der Bibel auf 11 :<br />

Il écarta les lianes. Elle entra dans le mystère du figuier-maudit. „C’est le gardien<br />

de l’eau“, murmura-t-elle, avec une sorte de terreur sacrée. „C’est le gardien de<br />

l’eau.“ Elle contempla les branches chargées de mousse argentée et flottante. „Il a<br />

grand âge.“ „Il a grand âge.“ (Gouverneurs 120)<br />

Manuel und Annaïse werden zum mythologischen Ursprungspaar einer neuen Menschheit<br />

stilisiert, die sich durch Ehrlichkeit, Einfachheit und authentische Naturverbundenheit<br />

auszeichnet. Damit wären wir beinahe wieder zum Mythos des guten Wilden zurückgekehrt.<br />

9 Dieser Gedanke entspringt explizit dem inneren Monolog Annaïses: „Oui, je serais la maîtresse de ta maison.<br />

[…] Je te servirai à manger et je resterai debout pendant que tu manges et que tu me diras: merci, ma négresse et<br />

je répondrai: à ton service, mon maître, parce que je serai la servante de ta maison. La nuit, je m’étendrai à tes<br />

côtés, tu ne diras rien, mais à ton silence, à la présence de ta main, je répondrai: oui mon homme, parce que je<br />

serai la servante de ton désir.“ (Gouverneurs 118).<br />

10 Cf. die bereits zitierte Passage: „Je suis ça: cette terre-là, et je l’ai dans le sang. Regarde ma couleur: on dirait<br />

que la terre a déteint sur moi“ (Gouverneurs 71).<br />

11 Die Anklänge an die sakrale Bibelsprache sind insofern sehr interessant, dass sich Roumain frei nach Marx<br />

offen gegen die betäubende Wirkung von Religionen wendet (cf. Gouverneurs 13, 48, 68). In dieser zentralen<br />

Szene kommt er auf die Bibel zurück, aber nur, um sie neu zu schreiben und ganz für weltliche Zwecke zu<br />

usurpieren.

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