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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Patrick Chamoiseaus problematischer Schritt in die Welt 294<br />

wiedererlangen und, vergleichbar mit den „fraternités transversales“ zu Beginn des Kapitels,<br />

neue Formen des Miteinanders entdecken. Der Autor scheint trotz des Scheiterns der<br />

bisherigen Stadtutopien auf die Zukunft der idealen Urbanität zu hoffen: „Ô ville, sois le lieu<br />

de l’humain, le lieu de la nature, le lieu du respect du vivant, de la solidarité entre les hommes<br />

et entre les sociétés“ 26 . Wie bereits erwähnt wurde, räumt der Autor am Ende des Textes ein,<br />

dass eine ideale Stadt außer Reichweite bleiben und sich nur bruchstückhaft realisieren wird.<br />

Das Livret präsentiert die Stadt als die Essenz des Lebens, als die dynamischste aller<br />

Lebensformen. Dabei erfährt die Stadt weder eine positive noch negative Wertung. Im<br />

Mittelpunkt steht lediglich ihr Impuls zu Wandel und Erneuerung. Trotz einiger Passagen, die<br />

auf tatsächliche negative urbane Entwicklungen wie den Städteverfall unter dem Joch der<br />

Moderne im Kapitel „Nocturne“ und „Néant“ Bezug nehmen 27 , weist das Livret über die<br />

Realität weit hinaus. In einem kurzen Text, der dem Hauptteil vorangestellt ist, betont der<br />

anonyme Autor in einer Erklärung den rein imaginären Charakter des Livret. Es beruht auf der<br />

Annahme, dass es neben der eigentlichen Welt noch eine zweite Realitätsebene gebe – „un<br />

deuxième monde“ –, die nur über den Traum und nur teilweise zugänglich sei. Diese „zweite<br />

Welt“ lasse sich nicht als Stadt oder als ein Netz aus Städten begreifen, sei aber der Essenz<br />

des Urbanen grundsätzlich verpflichtet. Die Annahme der Existenz einer „zweiten Welt“ wie<br />

auch der Sprachgestus und der utopisch-fiktionale Charakter des Livret, das mit einer<br />

theoretischen Abhandlung zum Thema Stadt wenig gemein hat, rücken den Text in die<br />

unmittelbare Nähe von Chamoiseaus jüngstem Roman, Biblique des derniers gestes. Dort<br />

nehmen die Reflexionen über eine so genannte „zweite Welt“ große Teile des Romans ein.<br />

12.3 Biblique des derniers gestes: une démesure de la démesure 28<br />

Biblique des derniers gestes ist in zwei Großkapiteln angelegt, wobei das erste,<br />

„Annonciation. Livre de la conscience du pays officiel“, die Einleitung zum Hauptteil im<br />

„Livre de l’agonie“ bildet. Das erste Kapitel ist den Umständen gewidmet, unter denen die<br />

gegenwärtige Bevölkerung Martiniques von dem nahenden Tod des alternden Revolutionärs<br />

und Widerstandskämpfers Balthazar Bodule-Jules Notiz nimmt. Die Einsicht, im Kampf<br />

gegen die Unterdrückung der Völker gescheitert zu sein, lässt Balthazar des Lebens müde<br />

werden und durch eine Anzeige im Nachrichtenblatt seinen Tod in 33 Tagen, sechs Stunden,<br />

26 Minuten und 25 Sekunden ankündigen.<br />

26 Ibid. 73.<br />

27 Cf. „J’avais du mal à m’éloigner d’elles [des villes], tellement leur entour (proliférant lui aussi) avait couvert<br />

le sol d’abris, de huttes, d’HLM, de yourtes, de cases, d’igloos, de carbets qui entraient en symbiose avec des<br />

débris d’automobiles, des caisses de bières et des panneaux Coca-Cola.“ Ibid. 44f.<br />

28 Cf. das Motto von Edouard Glissant am Beginn von Biblique des derniers gestes.

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