DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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wonach nicht die Christen, sondern die Anarchisten das wahre Salz der Erde wären. Auch<br />
wenn intertextuelle Verweise dieser Art nur ausgesprochen selten in den Erzählungen zu<br />
finden sind, so erscheint es mir trotzdem wichtig, diesen Aspekt zur Sprache zu bringen. Nicht<br />
nur der Vollständigkeit dieser Arbeit wegen, sondern vor allem auch wegen der weitgehenden<br />
Unbekanntheit dieses Zuges von Bernhards Erzählstil.<br />
Oberflächlicher verhält es sich mit der über die gesamten Erzählungen verstreuten<br />
Verwendung religiöser Termini. Anhand mehrerer Textbeispiele wurde herausgearbeitet, dass<br />
der Erzähler sich hier von ihrer religiösen Definition entfernt und ihrem umgangssprachlichen<br />
Gebrauch den Vorzug gibt. „Hölle“ und „Vorhölle“ sind also weniger als theologische<br />
Konstrukte zu verstehen, sie verweisen nicht auf die Vorstellung des Erzähler-Ichs in Bezug<br />
auf die „letzten Dinge“, sondern dienen lediglich der Bezeichnung bestimmter als traumatisch<br />
erlebter Orte bzw. geben dem emotionalen Zustand des Ichs Ausdruck. Diese<br />
Schlussfolgerung korrespondiert mit der eingangs vorweggenommenen Erkenntnis, nach der<br />
Bernhard auf keine Verhandlung theologischer Lehren abzielt, sich nicht in der abstrakten<br />
Sphäre bewegt, sondern den anschaulichen und persönlich erfahrenen Dingen nachgeht.<br />
So machen jene Situationen, in denen das Erzähler-Ich mit der kirchlichen <strong>Institut</strong>ion<br />
leibhaftig in Berührung kommt, einen weitaus gewichtigeren Teil der autobiographischen<br />
Erzählungen aus. Gleichzeitig stehen diese Begegnungen mit der Kirchenpraxis <strong>für</strong> einen zum<br />
größten Teil negativen Erfahrungsbereich, der nur stellenweise durch positive Einschübe<br />
durchbrochen wird.<br />
Die Amtskirche wird als janusköpfig entlarvt. Katholisches Personal und kirchliche Praxis<br />
geben vor, etwas anderes zu sein, verstecken ihre Machtgier und Perfidie hinter vermeintlich<br />
frommen und seelsorgerischen Tätigkeiten und verschaffen sich auf diese Art Zutritt in Geist<br />
und Seele ihrer Gläubigen, die sich ihnen meist bereitwillig unterwerfen. Maskerade, Farce<br />
und Scheinheiligkeit werden sowohl dem Messritus als auch der Krankenpflege und dem<br />
Sakrament der Krankensalbung diagnostiziert. Ein Schauspiel findet hier statt, Akteure und<br />
Publikum beherrschen ihren Part. Das theatrale Potenzial des christlichen Gottesdienstes<br />
bildet heutzutage einen Teil der religionswissenschaftlichen Literatur – das autobiographische<br />
Ich hat diesen Umstand bereits Jahrzehnte früher festgestellt. Während aber die gegenwärtige<br />
Religionswissenschaft theatrale Züge der Messe als positiv wertet, ja teilweise sogar da<strong>für</strong><br />
plädiert, dieses Potenzial auszureizen, zu verstärken, um damit neue Impulse <strong>für</strong> Pfarrer bzw.<br />
Priester und Kirchenvolk zu gewinnen, so erkennt das Erzähler-Ich darin in erster Linie die<br />
Verlogenheit und Heuchelei der Amtskirche. Nur selten kann das unverständliche und<br />
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