DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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Totenbett gerufen – hantiert ohne Feingefühl oder innere Anteilnahme. Die Beschreibung des<br />
Sakramentenkoffers und die Art und Weise, wie dieser geöffnet wird und sich dessen Inhalt<br />
offenbart, erscheinen grotesk und banal. Der hinter der Ölung stehende spirituelle Sinn wird<br />
in dieser Beschreibung nicht ersichtlich, das Erzähler-Ich kann den Vorgang nur negativ<br />
bewerten und nimmt ihn als pietätlos vollzogenen Gewohnheits- und Pflichtakt wahr. Die<br />
Rohheit, mit der dieser Akt tagtäglich verrichtet wird, wird im folgenden Textbeispiel noch<br />
einmal deutlich:<br />
Es gehörte zum Tagesablauf, daß gegen fünf Uhr in der Früh und gegen acht Uhr am<br />
Abend der Geistliche automatisch mit seinem Sakramentenkoffer erschien, um sich bei den<br />
Schwestern nach jenen zu erkundigen, <strong>für</strong> welche der Zeitpunkt der Letzten Ölung<br />
gekommen war. Die Schwestern deuteten dann auf diesen oder jenen, und der Geistliche<br />
waltete, wie gesagt wird, seines Amtes. (At 34)<br />
Hier handelt ein Geistlicher, der sowohl in seiner äußeren Gestalt als auch in seinem<br />
Charakter abstoßend wirkt. „Mit den größten Atembeschwerden in das Sterbezimmer“<br />
gerufen und „von viel zu viel Essen und Trinken“ aufgedunsen (At 33), erledigt er seine<br />
Tätigkeit als lästige Mission. Nahezu brutal mutet dabei eine Schilderung an, die das<br />
rücksichtslose Walten des Geistlichen mit der Wehrlosigkeit der Patienten kontrastiert: „Es<br />
waren noch nicht einmal alle Patienten gewaschen, und schon hatte sich der Geistliche an<br />
einem Bett festgebetet und bekreuzigt und den in dem Bett Liegenden gesalbt.“ (At 39) Die<br />
Krankensalbung wird dabei als vermeintliche Wohltat wider den Willen der Patienten<br />
dargestellt, in der Beschreibung ähnelt sie jedoch fast einem Gewaltakt. Der Erzähler sieht sie<br />
als Angelegenheit, die wie der Krankenhausaufenthalt hinter sich zu bringen ist (Kä 56).<br />
„Geistliche der Art wie der Krankenhausgeistliche“ mutieren in der Meinung des Großvaters<br />
zu „in Katholizismus reisende Agenten“, die die Kirche <strong>für</strong> ihre eigenen Interessen ausnützen<br />
und besonders „in größeren Krankenhäusern“ ihren Geschäften nachgehen (At 44). Die<br />
Abscheu des Großvaters gegenüber dem Krankenhausgeistlichen und seine Stilisierung zum<br />
„unbeugsamen Antichristen“ 206 offenbart sich denn auch in einer Begegnung der beiden<br />
Männer, in welcher der Geistliche auch am Großvater die Krankensalbung vollziehen möchte,<br />
von eben diesem aber „mit dem Wort hinaus“ (At 81) aus dem Zimmer komplimentiert wird.<br />
Sinnbildlich kann diese Episode <strong>für</strong> die negative Einstellung des Großvaters zur gesamten<br />
katholischen Kirche interpretiert werden, welche vom Geistlichen ja in gewissem Sinne<br />
206 Langer, Renate: Hitlerbild und Kreuz. Nationalsozialismus und Katholizismus bei Thomas Bernhard. In:<br />
Huber Martin und Bernhard Judex u.a. (Hg.): Thomas-Bernhard-Jahrbuch 2007/2008. <strong>Wien</strong>, Köln u.a.:<br />
Böhlau 2009, S. 21-35, S. 23.<br />
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