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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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Mit dem Vergleich mit Ettendorf beschwört der Erzähler den scharfen Kontrast zwischen dem<br />

großelterlichen Anwesen und dem Rest der Welt. Unterhalb Ettendorfs waltet der<br />

Katholizismus seines Amtes, schwingt sein Szepter und bringt nur Dummheit unter die<br />

Menschen. Genau diese aber lassen sich bereitwillig verführen und entmündigen, strömen in<br />

die Kirche und praktizieren die dortigen Rituale. Das Erzähler-Ich führt dazu das Bild sich zu<br />

Tode blökender Schafe ein. Dieser Vergleich könnte einerseits lediglich das gängige Idiom des<br />

„dummen Schafes“ bedienen, andererseits könnte sich hier erneut ein subtiler und verspielter<br />

Anklang an die Bibel verbergen. Wiederholt werden darin Gleichnisse genannt, in welchen<br />

die Schafherde als Symbol <strong>für</strong> die Christenheit steht, die dem „guten Hirten“ Jesu folgt. 222<br />

Auch Jesus selbst wird im Zuge des Prozesses gegen ihn „wie ein Schaf […] zum Schlachten<br />

geführt“ 223 . Das Schaf nimmt in der Bibel eine Sonderstellung ein und dient als geeignetes<br />

Sinnbild, um Hirtentum und Gefolgschaft zu vermitteln – nicht von ungefähr wird daher auch<br />

der lateinische „Pastor“ mit „Hirte“ übersetzt. 224 Ob die Wahl dieses Bildes nun willkürlich<br />

oder bewusst getroffen wurde, muss offen bleiben.<br />

Korrespondierend mit der konstatierten Schädigung bzw. Vernichtung von Geist und Seele,<br />

führt das Erzähler-Ich auch den Vergleich des Katholizismus mit einer ansteckenden<br />

Krankheit ein, einer Krankheit, die eben nicht den Körper, sondern das Denken befällt:<br />

[...] die Großeltern, bei welchen ich aufgewachsen bin, waren von der einen wie von der<br />

anderen im Grunde doch nur bösartigen Krankheit nicht und niemals befallen gewesen.<br />

Fortwährend von meinem Großvater darauf aufmerksam gemacht, daß ich mich weder von<br />

dem einen (dem nationalsozialistischen) noch von dem anderen (dem katholischen)<br />

Stumpfsinn beeindrucken lassen dürfe, war ich, auch wenn das in einer solchen von diesen<br />

beiden vollkommen zersetzten und vergifteten Atmosphäre wie in Salzburg […] das<br />

Schwierigste gewesen war, niemals auch nur in die Gefahr einer solchen Charakter- und<br />

Geistesschwäche gekommen. (Ur 98)<br />

Das Erzähler-Ich kann sich vor einer Infizierung mit Stumpfsinn durch die Warnung der<br />

Großeltern schützen. War es also gegen die „Geisteskrankheiten“ „immun“ (Ur 104), so hat<br />

dies dennoch nicht den Leidensdruck gemindert: „[G]elitten habe ich darunter, wie nur ein<br />

Kind in meinem Alter darunter hatte leiden können“ (Ur 104). Das Wissen um die Methoden<br />

verhindert zwar eine innerliche Anpassung und Ansteckung, durch die von außen auf das Ich<br />

222 Vgl. Joh 10,1-30.<br />

223 Apg 8,32.<br />

224 Vgl. Betz, Hans Dieter und Don S. Browning u.a. (Hg.): Religion in Geschichte und Gegenwart.<br />

Handwörterbuch <strong>für</strong> Theologie und Religionswissenschaft. Vierte, völlig neu bearbeitete Auflage. Bd 6.<br />

Tübingen: Mohr Siebeck: 2003, Sp 987.<br />

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