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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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Diese Beschreibung eines sonntäglichen Kirchenbesuchs vereint mehrere Aspekte in sich,<br />

zugleich wird Kritik an der Art und Weise der Messe spürbar auch wenn sie nicht direkt und<br />

offensiv artikuliert wird. Das Erzähler-Ich steigt über das Gefühl der Angst in die Erinnerung<br />

ein. Nicht Worte der Hoffnung oder Erbauung werden von der Kanzel gepredigt, vielmehr<br />

prasseln Drohungen und Verdammungen auf die Glaubensgemeinschaft herunter – das<br />

Gewissen des Erzähler-Ichs wird dadurch nicht erleichtert, sondern beschwert.<br />

Das Kind hat zudem das Gefühl in der Menge von Gläubigen zu verschwinden. Als einer<br />

unter vielen ging es, wie es wortwörtlich geschrieben steht, unter. Auf seine besonderen<br />

Bedürfnisse wird keine Rücksicht genommen, ihm wird keine gesonderte Aufmerksamkeit<br />

zuteil. Die Gläubigen erscheinen als Masse, sie sind durch einen Verlust von Individualität<br />

gekennzeichnet. In diesem Sinne stehen auch die daran anschließend geschilderten rituellen<br />

Handlungen – das kollektive Aufstehen und Niederknien kann vom Erzähler-Ich in keinen<br />

Zusammenhang gebracht werden, es bleiben sinnentleerte Handlungen, eine gemeinsame<br />

Choreographie, vollzogen von einer Gruppe, die sie unhinterfragt und kopflos ausübt.<br />

Aufklärung über diese Handlungsweisen findet nicht statt, sodass sich die katholische Liturgie<br />

<strong>für</strong> das Erzähler-Ich als unverständliches Mysterium darstellt. Daraus entstehen auch diffuse<br />

Assoziationen, wie etwa die Verbindung von Weihrauch und Tod. Denn im Verständnis der<br />

römischen Kirche gilt Weihrauch als ein „Sakramentale, das reinigend und heilend wirkt und<br />

dämonische Einflüsse abwehrt.“ 153 Weihrauch symbolisiert im Alten und Neuen Testament das<br />

emporsteigende Gebet 154 , wurde zunächst tatsächlich nur bei Bestattungsriten eingesetzt<br />

(womit die Verknüpfung von Weihrauch und Tod zumindest in diesem Kontext zutreffend ist),<br />

fand aber dann allmählich Eingang in den herkömmlichen Messritus. 155<br />

Auch die Einordnung bestimmter Wörter – hier „Asche“ und „Ewiges Leben“ – gelingt nicht,<br />

die Begriffe bleiben zusammenhanglos im Gedächtnis des Erzähler-Ichs und haben – wenn<br />

überhaupt irgendeinen – dann einen negativen Beigeschmack. Wenn Rainer Hepler meint,<br />

dass die ersten Erfahrungen mit der Kirche noch überwiegend positiven Charakter besitzen<br />

und erst „nach der Erfahrung des katholischen Internats [...] nur noch gegenteilig“ 156<br />

153 Nitschke, Horst: Lexikon Liturgie. Gottesdienst – christliche Kunst – Kirchenmusik. Hannover:<br />

Lutherisches Verlagshaus 2001, S. 165.<br />

154 Vgl. Offb 5,8: „[...] alle halten ein Saitenspiel und goldene Schalen voll von Räucherwerk; das sind die<br />

Gebete der Heiligen.“ Sowie Offb 8,3: […] man gab ihm viel Weihrauch – das sind die Gebete aller<br />

Heiligen“; und Offb 8,4: „Aus der Hand des Engels stieg der Weihrauch vor Gott empor; das sind die Gebete<br />

der Heiligen.“<br />

155 Vgl. Heinz-Mohr, Gerd: Lexikon der Symbole. Bilder und Zeichen der christlichen Kunst. Düsseldorf, Köln:<br />

Diederichs 1971, S. 302.<br />

156 Hepler, Rainer: Eines Tages durchstossen wir die äusserste Grenze. Die Gottesfrage im Prosawerk von<br />

Thomas Bernhard. München: Arbeitsgemeinschaft <strong>für</strong> Religions- und Weltanschauungsfragen 1997. (Nada-<br />

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