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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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soll hier nicht weiter diskutiert werden, auch wenn Hans Höller von einer „blasphemisch<br />

konstatierte[n] Austauschbarkeit“ 275 seitens des Erzähler-Ichs spricht. Reaktionen aus den<br />

Reihen der katholischen Kirche bezüglich der in Bernhards Gesamtwerk vorzufindenden<br />

Anschuldigungen schafften es – mit Ausnahme des Bandes Die Ursache, bei welchem sich<br />

jedoch in erster Linie eine Privatperson, wenngleich auch ein Kirchenmann, verleumdet fühlte<br />

– nicht in das öffentliche Bewusstsein. Offensichtlich fiel es leicht, Bernhard schlichtweg<br />

nicht ernst zu nehmen, seine „Äußerungen als bloß aggressive Beschimpfungen, als maßlose<br />

Übertreibungen […] oder als sich selbst disqualifizierende Haßtiraden“ beiseite zu schieben,<br />

wie es Heinrich Schmidinger annimmt, sie als „pauschalisierendes, monoman insistierendes<br />

und blind herumschlagendes Sich-Hineinreden“ ohne großen Aufruhr hinzunehmen, da die<br />

Art und Weise der Formulierung sich „selbst entkräftet“ 276 . Dieser Erklärung kann nun<br />

zugestimmt oder widersprochen werden. Es bleibt jedoch der Fakt bestehen, dass Bernhards<br />

verbale Angriffe gegen die katholische Kirche die davon Betroffenen, aus welchen Gründen<br />

auch immer, nicht zu einer öffentlichen Blasphemie-Anklage provozierte. Religiöse Gefühle<br />

dürften demnach zumindest nicht in einem hohen Ausmaß verletzt worden sein. Da eine<br />

Anklage also ausbleibt, erübrigt sich auch eine Verteidigung oder weitere Auseinandersetzung<br />

mit dieser Frage.<br />

Neben dem Austausch von Gegenständen und geringfügig veränderten Handlungsweisen<br />

weist der Erzähler auch auf die gesungenen Lieder hin, deren Gestalt ebenso kaum<br />

Veränderung, geschweige denn einen grundsätzlich anderen Charakter erhalten hat. Nazi- und<br />

Kirchenlieder würden, was ihre Funktion und Wirkung angehe, ein und dasselbe sein. Statt<br />

„Die Fahne hoch“ hieß es nun eben „Großer Gott wir loben dich“ (Ur 88).<br />

„Wenn wir die zu dem Zwecke der Verherrlichung und Verehrung einer sogenannten<br />

außerordentlichen Persönlichkeit, ganz gleich welcher, gesungenen Lieder und Chöre, wie<br />

wir sie in der Nazizeit und wie wir sie nach der Nazizeit im Internat gesungen haben, in<br />

Augenschein nehmen, müssen wir sagen, es sind immer die gleichen Texte, wenn auch<br />

immer ein wenig andere Wörter, aber es sind immer die gleichen Texte zu der immer<br />

gleichen Musik und insgesamt sind alle diese Lieder und Chöre nichts anderes als der<br />

Ausdruck der Dummheit und der Gemeinheit und der Charakterlosigkeit derer, die diese<br />

Lieder und Chöre mit diesen Texten singen, es ist immer nur die Kopflosigkeit, die diese<br />

Lieder und Chöre singt, und die Kopflosigkeit ist eine umfassende, weltweite.“ (Ur 99)<br />

275 Höller, Hans: Thomas Bernhard, S. 22.<br />

276 Vgl. Schmidinger, Heinrich: „katholisch“ bei Thomas Bernhard, S. 574.<br />

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