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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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Bernhard auch von der christlichen Auffassung verabschiedet hat, Krankheit und Leiden also<br />

nicht im Kontext einer späteren Wiedergutmachung im Jenseits sieht, so wandelt er sie doch<br />

in eine säkularisierte Form um, die – wie zuvor dargelegt – in der Vision besteht, „Krankheit<br />

als Voraussetzung künstlerischer Produktivität“ anzusehen. 101<br />

Von „Leidensgeschichte“ spricht auch Josef Mautner, wenn er auf die in Die Ursache<br />

aufgezeigte Kontinuität der „Erziehungs- und Bildungsmuster“ von Nationalsozialismus und<br />

Katholizismus verweist: „Hier ist die Leidensgeschichte des Erzählers – und damit die<br />

Leidensgeschichte aller, die nicht ins ,Systemʽ passen – nicht unterbrochen, sondern<br />

fortgesetzt worden.“ 102 Bereits zuvor greift Mautner zusätzlich auf die Bezeichnung der<br />

„Hagiographie“ zurück: Eine Geschichte aus Bernhards Leben wiedergebend, berichtet<br />

Mautner über eine „Episode, die – wie all die unzähligen Episoden aus der ,Hagiographie‛ des<br />

Thomas Bernhard – Verfälschung und Bewahrheitung zugleich sind“ 103 . Es geht hier nicht um<br />

jene Episode, auch nicht darum, ob Mautner nun das tatsächliche oder das schriftlich erinnerte<br />

Leben Bernhards gemeint hat. Vielmehr soll darauf hingewiesen werden, dass Mautner den<br />

Begriff der „Hagiographie“ einführt. Erneut zeigt sich hier ein gängiges Paradoxon: Der<br />

kirchenskeptische Thomas Bernhard wird wiederholt gerade zu dem Gegenstand seiner Kritik<br />

in Bezug gesetzt. Und auch wenn sich Mautner wie aus der Verwendung von<br />

Anführungszeichen zu sehen ist der Skurrilität dieser Bezeichnung zu seinem Gegenstand<br />

bewusst zu sein scheint, so bleibt doch die Tatsache bestehen, dass Bernhards Leben in<br />

irgendeiner Form mit einer Heiligenvita gleichgesetzt wird; indirekt Zustimmung findet<br />

Mautner diesbezüglich übrigens bei Thomas Mann, der zu Sigmund Freuds achtzigstem<br />

Geburtstag die „Biographik“ als „säkularisierte Form der Heiligenlegende“ bezeichnete. 104<br />

Das Ineinandergreifen von zuverlässigen Fakten und fiktiven Ausschmückungen 105 ist<br />

jedenfalls ein beide Textsorten verbindendes Element, wobei die Stilisierung bei<br />

Hagiographien selbstverständlich wesentlich stärker theologisch motiviert ist. Auch sollte<br />

durch die Niederschrift des vorbildlichen Lebens und Wirkens von Heiligen Bewunderung<br />

und Erbauung bei der Leserschaft erzielt werden – ein weiterer gravierender Unterschied zu<br />

Bernhards autobiographischer Pentalogie. Bezeichnet das Erzähler-Ich jedoch das zwanghafte<br />

101 Vgl. ebd., S. 183.<br />

102 Mautner: Nichts Endgültiges, S. 120.<br />

103 Ebd. S. 84.<br />

104 Vgl. Höller, Hans: Thomas Bernhard, S. 104.<br />

105 Vgl. Biser, Eugen und Ferdinand Hahn u.a. (Hg.): Lexikon des christlichen Glaubens. München: Pattloch<br />

2003, S. 183-184.<br />

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