DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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Menschen gleichen. Hier liegt auch der Grund, warum sich die Zäsur 1945 <strong>für</strong> das<br />
autobiographische Ich nicht als scharfer Bruch und Neubeginn gestaltet hat, sondern als<br />
bloßer Wechsel von der einen in die andere Repression. Hinter beiden Machtapparaten mögen<br />
andere Leitfiguren und andere Ausformungen stehen, die Radikalität, diese zu verbreiten und<br />
die Menschen davon zu überzeugen, ist beiden jedoch gemeinsam. Denn die Grundstruktur<br />
von Katholizismus und Nationalsozialismus ließe sich nach Bernhard darauf<br />
herunterschrauben, dass hier zwei parteiartige, manipulative Massenbewegungen agieren, die<br />
ihren Anhängern das Denken abnehmen wollen und sie sowohl geistig als auch seelisch<br />
radikal einverleiben:<br />
[...] geistig eingeklemmt zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus sind wir<br />
aufgewachsen und schließlich zerquetscht worden zwischen Hitler und Jesus Christus als<br />
volksverdummenden Abziehbildern. Es heißt auf der Hut zu sein und sich nicht und durch<br />
nichts bluffen zu lassen, denn die Kunst, der Welt etwas vorzumachen, ganz gleich was<br />
betreffend, wird hier wie nirgendwo anders beherrscht, und jährlich gehen hier Tausende<br />
und Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende in die Falle. (Ur 102)<br />
Neben den vernichtenden Auswirkungen von katholischer Kirche und NS-Regime verweist<br />
dieses Textzitat noch auf weitere Zusammenhänge. Vom „Bluff“ ist die Rede, von der „Kunst,<br />
der Welt etwas vorzumachen“, die das autobiographische Ich schon in Bezug auf die<br />
Gestaltung des katholischen Gottesdienstes festgestellt hat. Gerade in diesem Punkt setzt<br />
Bernhard nochmals an, um eine Gemeinsamkeit mit dem Nationalsozialismus hervorzuheben:<br />
Durch diesen Kunstgriff würde es beiden Bewegungen gelingen, Massen an sich zu binden,<br />
„Hunderttausende“ zu verführen. Damit wird zweifelsohne auf die Verbreitung einer<br />
Ideologie und Heilslehre angespielt, die die Gläubigen in ihrem Denken und Verhalten<br />
indoktriniert. Die Verführung des Volks lässt sich aber auch weniger abstrakt am konkreten<br />
Auftreten und der Zurschaustellung des Regimes festmachen, das eine einnehmende Wirkung<br />
auf die Massen hervorrufen sollte. Als besonders gegenständliches Beispiel kann hier die<br />
imposante Inszenierung der Reichsparteitage angeführt werden, deren „rituelle[s] Spiel“<br />
zwischen Masse und Führer auch religiöser Elemente nicht entbehrt und durchaus einer<br />
„genau festgelegten, an Gottesdienste erinnernden Choreographie“ 256 gleicht, einer „Liturgie<br />
aus Feuer, Ritus und Symbolik“ 257 . Die sakralen Muster und Gestaltungselemente der<br />
256 Vgl. Rißmann, Michael: Hitlers Gott. Vorsehungsglaube und Sendungsbewußtsein des deutschen Diktators.<br />
Zürich, München: Pendo 2001, S. 181.<br />
257 Thamer, Hans-Ulrich: Von der „Ästhetisierung der Politik“: Die Nürnberger Reichsparteitage der NSDAP.<br />
In: Ogan, Bernd und Wolfgang W. Weiß (Hg.): Faszination und Gewalt. Zur politischen Ästhetik des<br />
Nationalsozialismus. Nürnberg: Tümmels 1992, S. 95-104, S. 97.<br />
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