DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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Thomas Bernhard. 22 Schmidt-Denglers Untersuchung dieser AutorInnen ergibt, dass die<br />
Beeinflussung durch die liturgische Sprache tatsächlich in erster Linie auf ein katholisches<br />
Umfeld und eine ebensolche Erziehung zurückgeführt werden kann: „Für viele […] war die<br />
Begegnung mit der Sprache der Liturgie die erste Begegnung mit einer Sprache, die aus der<br />
Alltagspragmatik entlassen war, in der es nicht auf pragmatisch sofort umsetzbare Mitteilung<br />
ankam, in der es keinen sofort ersichtlichen Zweck gab.“ 23 Wurde Sprache also bis dato<br />
ausschließlich zweckgebunden erlebt als unumgängliches Medium, um sich einem Gegenüber<br />
im Alltag mitzuteilen, so eröffnete die Sprache in der Kirche eine neue Perspektive, ein<br />
abstraktes, ein künstliches Sprechen – fremd und bekannt zugleich. Denn sowohl vertraute<br />
Elemente der Alltagssprache als auch unbekannte Wörter wurden in dieser neuen Sprache<br />
zusammengebracht. Das wiederum gab Anstoß sowohl <strong>für</strong> „ironische Distanzierung wie auch<br />
<strong>für</strong> Anverwandlung“ und Sprachspielereien, da, bedingt durch das Fremde und<br />
Unverständliche, ein erhöhter Anreiz zur Auseinandersetzung bestand. 24 Dabei ragt v.a. die<br />
Litanei hervor, aber auch Gebetstexte und Texte der liturgischen Praxis finden sich in den<br />
Texten wieder. Die erste Regel, die Peter Handke den Schauspielern seiner<br />
Publikumsbeschimpfung vorgibt, ist denn auch: „Die Litaneien in den katholischen Kirchen<br />
anhören“ 25 . Auch im Roman Die Wiederholung, der autobiographische Züge aufweist, tauchen<br />
Litaneien auf. Ihnen wird ein Zauber zugesprochen, eine einnehmende Wirkung, ähnlich<br />
einem Sog 26 :<br />
Nur bei den Litaneien, mehr noch als bei den Gesängen, horchte ich auf. In all den Anrufen<br />
des Erlösers der Welt, der sich unser erbarmen sollte, und der Heiligen, die <strong>für</strong> uns bitten<br />
sollten, lebte ich vollkommen mit. In dem dunklen Kirchenschiff […], ging von den Silben<br />
der anderen Sprache, den wechselnden des Vorbeters und den immergleichen der<br />
Gemeinde, eine Inbrunst aus, als lägen wir insgesamt auf dem Erdboden und bestürmten,<br />
Aufschrei um Aufschrei, einen verschlossenen Himmel. Diese fremdsprachigen Tonfolgen<br />
konnten mir nie lang genug sein; sie sollten immer weitergehen; und war die Litanei zu<br />
Ende, empfand ich danach kein Ausklingen, sondern ein Abbrechen. 27<br />
Der „Sinn <strong>für</strong> Wiederholung“ schlägt sich schon in Handkes früher literarischer Produktion<br />
nieder – die litaneihafte Struktur ist deutlich erkennbar. 28 Das <strong>für</strong> die Litanei kennzeichnende<br />
Prinzip der Wiederholung greift jedoch nicht nur Handke auf, es ist eine gängige, fast schon<br />
22 Vgl. ebd.<br />
23 Ebd., S. 46-47.<br />
24 Vgl. S. 47.<br />
25 Handke, Peter: Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1969. (edition<br />
suhrkamp 177), S. 9.<br />
26 Vgl. Schmidt-Dengler, Wendelin: Das Gebet in die Sprache nehmen, S. 48.<br />
27 Handke, Peter: Die Wiederholung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1986, S. 195-196.<br />
28 Vgl. Schmidt-Dengler, Wendelin: Das Gebet in die Sprache nehmen, S. 48-49.<br />
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