DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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nachzugehen, der in die Autobiographie Eingang gefunden hat. Da die Begriffe „Hölle“ und<br />
„Vorhölle“ aber wiederholt und beinahe eindringlich angeführt werden, erscheint mir eine<br />
genauere Betrachtung vielversprechend. Die theologischen Vorstellungen hinter diesen<br />
Begriffen sollen dabei mit der Anwendung bei Bernhard verglichen werden, um<br />
Übereinstimmungen oder Abweichungen im Gebrauch festzustellen.<br />
Es sind „verschiedene Erfahrungsräume des Erzähler-Ich“ 141 , die mit dem Ausdruck „Hölle“<br />
umschrieben bzw. gleichgesetzt werden. Darunter fallen das Schulgebäude am Grünmarkt (Ur<br />
119), das Internat in der Schrannengasse (Ur 119), das Salzburger Landeskrankenhaus (At<br />
48), das Rathaus in Traunstein (Kä 73) und das eigene Zuhause (Kä 89), vor allem aber die<br />
Lungenheilanstalt Grafenhof (Kä 26, 31, 38). Es sind dies Orte, in denen sowohl seelische als<br />
auch real-körperliche Qualen erlitten, Schmerz, Verzweiflung und Tod erfahren wurden,<br />
„Räume der sozialen Ausgrenzung sowie psychischen Vernichtung von Menschen“ 142 .<br />
Auch in der christlichen Vorstellung ist die Hölle ein Ort der Ausgegrenzten, ihren Insassen<br />
wird die Gemeinschaft mit Gott verweigert – in Ewigkeit. Die katholische und evangelische<br />
Lehre geht von der „realen Möglichkeit“ einer Hölle aus, es wird jedoch seit jeher<br />
unterschiedlich beantwortet, in welcher Art und Weise Qualen erlitten werden. Die<br />
Vorstellung einer Frist bis zum Gottesgericht wurde noch im Mittelalter verabschiedet und der<br />
etwaige Eintritt in die Hölle unmittelbar nach dem Tod festgelegt. 143<br />
Spricht der Erzähler der Autobiographie von „Hölle“, so tut er dies vollkommen losgelöst von<br />
jeglicher Beziehung zu katholischen Bedeutungsinhalten. Hier soll nicht auf die Hölle in der<br />
theologischen Vorstellungswelt verwiesen werden, vielmehr ist ein ausgesprochen freier und<br />
umgangssprachlicher Gebrauch festzustellen, eine metaphorische Verwendung, einzig dem<br />
individuell Erlebten verpflichtet. Die Höllen der Autobiographie bergen ein hohes Maß an<br />
Emotionalität und Subjektivität und dienen als Hilfsbegriffe <strong>für</strong> die Beschreibung<br />
grauenhafter Erfahrungen und Orte. Es sind die eigenen privaten Höllen 144 , die hier<br />
beschrieben werden. In diesem Sinne ist die Hölle auch kein Ort jenseits des Todes und somit<br />
kein transzendenter Begriff. Sie wird in der diesseitigen Welt erlebt und offenbart sich in<br />
unterschiedlichen Facetten, wenn auch mit nicht nachlassender Abscheulichkeit. Soll<br />
141 Mautner, Josef: Nichts Endgültiges, S. 106.<br />
142 Ebd.<br />
143 Vgl. Kasper, Walter (Hg.): Lexikon <strong>für</strong> Theologie und Kirche. Bd. 5. Begr. v. Michael Buchberger. 3., völlig<br />
neu bearbeitete Auflage. Freiburg, Basel u.a.: Herder 1996, Sp. 232-233.<br />
144 Vgl. Obermayer, August: Der Locus terribilis in Thomas Bernhards Prosa. In: Jurgensen, Manfred (Hg.):<br />
Bernhard. Annäherungen. Bern: Francke 1981. (Queensland studies in German language and literature 8), S.<br />
215-229, S. 226.<br />
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