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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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eschrieben werden, dann ist dieser Aussage nicht vollständig zuzustimmen. Hepler ist mit<br />

dieser Annahme jedoch nicht allein – auch Heinrich Schmidinger bemerkt den ungeheuren<br />

Eindruck, den das Messgeschehen auf den Erzähler ausübt und zieht automatisch den<br />

Rückschluss eines positiven Eindrucks. 157 Dass dem nicht so ist und bereits der erste<br />

Kirchenbesuch negative und angstbeladene Züge trägt, habe ich zuvor dargelegt und soll nun<br />

in einem weiteren Punkt verstärkt werden. Denn die Schilderung kulminiert letztlich vor<br />

allem in einem zentralen Begriff, nämlich dem des Schauspiels. Dieser Aspekt zieht sich bis<br />

in Bernhards Spätwerke 158 durch und bildet einen wesentlichen Bestandteil seiner<br />

Wahrnehmung der katholischen Liturgie und einen Grundstein seiner Kritik.<br />

Das Schauspiel zog sich in die Länge, die Komparserie bekreuzigte sich. Der<br />

Hauptdarsteller, der Dechant gewesen war, gab seinen Segen. Die Assistenten buckelten<br />

alle Augenblicke, schwangen die Weihrauchfässer und stimmten ab und zu mir<br />

unverständliche Gesänge an. Mein erster Theaterbesuch war mein erster Kirchenbesuch, in<br />

Seekirchen bin ich zum erstenmal in eine Messe gegangen. Lateinisch! (Ki 85)<br />

Neben dem Begriff des Schauspiels zieht Bernhard auch noch den der „Komparserie“ und des<br />

„Hauptdarstellers“ heran, ebenfalls Termini aus dem Bereich von Film und Theater. In der<br />

Wahrnehmung des Erzähler-Ichs formt sich die Szenerie zu einem langwierigen Prozedere, in<br />

welchem die Darsteller und ihr Publikum ihre Rollen beherrschen und nach vorgefertigtem<br />

Muster abspulen. Die Assistenten „buckelten“ und werden mit der Wahl dieses Verbs als<br />

unterwürfige Hilfsdiener charakterisiert. Erneut findet sich das Ich in dem Geschehen nicht<br />

zurecht, kann auch den Gesängen keinen Reiz abgewinnen, da hier ebenfalls Unverständnis<br />

vorherrscht. Erst später wird dem Leser der Zusatz „Lateinisch“ offenbart.<br />

Bevor nun weiter auf die Gleichsetzung der Messe mit einem Theaterbesuch eingegangen<br />

werden kann, ist es an dieser Stelle notwendig, einen kurzen Exkurs in die Historie römisch-<br />

katholischen Gottesdienstes zu unternehmen und damit einen liturgiegeschichtlichen Kontext<br />

der beschriebenen Erlebnisse herzustellen. Denn das autobiographische Ich erlebt hier eine<br />

Messe, wie sie noch vor Abhaltung des Zweiten Vatikanums stattfand. Damit steht die<br />

geschilderte Messe in einer etwa 400 Jahre alten Tradition, die erst durch das eben genannte<br />

Edition 15), S. 19.<br />

157 Vgl. Schmidinger, Heinrich: „katholisch“ bei Thomas Bernhard – Versuch einer Lektüre. In: Möde, Erwin<br />

und Felix Unger u.a. (Hg.): An-Denken. Festgabe <strong>für</strong> Eugen Biser. Graz, <strong>Wien</strong> u.a.: Styria 1998, S. 569-579,<br />

S. 571.<br />

158 Im Roman Auslöschung. Ein Zerfall. (In: Huber, Martin und Wendelin Schmidt-Dengler (Hg.): Thomas<br />

Bernhard. Die Romane. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2008, S. 1373-1766) beispielsweise auf folgenden Seiten:<br />

S. 1457, 1474, 1564-1566, 1568, 1592, 1694, 1702, 1756, 1757, 1758.<br />

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