DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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Dissidententum, Passivität und dem Versuch, als Kompagnon wenig Schaden zu nehmen.<br />
Nach Kriegsende und mit Errichtung der Zweiten Republik konnte die Kirche zwar vom<br />
Kooperationswillen der Oppositionsparteien profitieren und brachte mit dem Zweiten<br />
Vatikanischen Konzil neuen Wind in festgefahrene und veraltete Strukturen, dennoch<br />
entfernte sich das Gros der Bevölkerung immer mehr von der Kirche. Ihren Einfluss auf die<br />
Gesellschaft konnte sie jedoch weiterhin in den kirchlich betriebenen Einrichtungen, von<br />
Kindergärten über Schulen bis hin zu Krankenhäusern, erhalten. 245<br />
Diesem geschichtlichen Abriss entspricht auch eine Textpassage aus Die Ursache, in welcher<br />
der Ich-Erzähler das katholisch-nationalsozialistische Wesen der österreichischen Mentalität<br />
eben nicht als Phänomen erkennt, das sich erst seit kurzem formiert hat. Dieser Zustand habe<br />
sich vielmehr bereits vor Jahrhunderten durch die Dominanz des Katholizismus angebahnt<br />
und sei durch das Zutun der NS-Herrschaft in wenigen Jahren zu seiner vollen, unheilvollen<br />
Größe herangewachsen, dessen Nachwehen noch lange nach Kriegsende spürbar sind. Es<br />
heißt demgemäß,<br />
daß diese Stadt eine in Jahrhunderten vom Katholizismus gemein abgedroschene und in<br />
Jahrzehnten vom Nationalsozialismus brutal vergewaltigte ist, die ihre Wirkung tut. Der<br />
junge, in sie hineingeborene und in ihr sich entwickelnde Mensch entwickelt sich zu<br />
beinahe hundert Prozent in seinem Leben zu einem katholischen oder<br />
nationalsozialistischen Menschen […]. (Ur 100-101)<br />
Die konstante Präsenz der katholischen Kirche und das verheerende Wirken des<br />
Nationalsozialismus produzierten letztendlich nur Menschen, die vollständig von dem einen<br />
oder dem anderen System durchdrungen sind, weil es ihnen in ihrer Entwicklung gar nicht<br />
möglich sei, einen anderen Weg einzuschlagen. Attestiert Bernhard in mehreren Werken selbst<br />
den Sozialisten „nationalsozialistische und katholische Züge“ (Ur 104), so können auch aus<br />
dieser Aussage politische Tatsachen abgeleitet werden. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs<br />
ging die SPÖ auch bei ehemaligen Nationalsozialisten auf Stimmenfang, wie sie auch<br />
gleichzeitig einen Schritt auf die katholische Kirche zuging. 246 Zudem waren viele<br />
Nationalsozialisten in den Schoß der Kirche zurückgekehrt, die sie auch bereitwillig<br />
aufnahm. 247<br />
245 Vgl. Vitovec, Barbara: „Simili modo“, S. 30-31.<br />
246 Vgl. Langer, Renate: Hitlerbild und Kreuz, S. 27.<br />
247 Vgl. Hanisch, Ernst: Braune Flecken im Goldenen Westen. Die Entnazifizierung in Salzburg. In: Meissl,<br />
Sebastian und Klaus-Dieter Mulley u.a. (Hg.): Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne. Entnazifizierung in<br />
Österreich 1945-1955. Symposion des <strong>Institut</strong>s <strong>für</strong> Wissenschaft und Kunst <strong>Wien</strong>, März 1985. <strong>Wien</strong>: Verlag<br />
<strong>für</strong> Geschichte und Politik 1986, S. 321-336, S. 333.<br />
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