DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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gebracht: „Mathan aber zeugte Jakob. Jakob aber zeugte Josef. Josef aber zeugte Jesus<br />
nicht.“ 36<br />
Reinhard P. Gruber nimmt in Aus dem Leben Hödlmosers ebenso Anleihen an einer konkreten<br />
Bibelpassage: Die Episode des Lukasevangeliums, die über Jesus im Tempel berichtet 37 , setzt<br />
Gruber in Bezug zur Auffindung Hödlmosers im Wirtshaus. 38 Die Geschichte rund um Verlust<br />
und Wiederfindung Hödlmosers erfährt durch den biblischen Sprachduktus eine besonders<br />
humoristische Note:<br />
und es begibt sich: nach 3 tagen finden sie ihn im wirtshause, wie er mitten unter den<br />
bauern sitzt, ihnen zuhört und sie fragt. / es staunen aber alle, die ihn hören, über seine<br />
einsicht, seine antworten und seinen durst. / und da sie ihn erblicken, sind sie fassungslos,<br />
und seine mutter sagt zu ihm: „kind, warum hast du uns das angetan? siehe, hödlmoser und<br />
ich suchen dich mit schmerzen.“ / und er spricht zu ihnen: „warum habt ihr mich gesucht?<br />
wußtet ihr nicht, daß ich im wirtshaus sein muß wie mein vater?“ / und hödlmoser und fani<br />
verstehen das wort, das er zu ihnen spricht. 39<br />
Handke wählt <strong>für</strong> seine Lebensbeschreibung 40 , die das Leben Jesu wiedergibt, die Form eines<br />
Zeitungsartikels. Er erzeugt dadurch bewusst Irritation, indem er das heilige Leben in einer<br />
profanen Textgattung nacherzählt. Und – ob bewusst oder unbewusst – wird durch diese<br />
formale Entscheidung auch Skepsis bezüglich der heilsgeschichtlichen Botschaft deutlich, der<br />
Bereich der Blasphemie damit geschrammt. 41<br />
Eine andere Intention verfolgt Ernst Jandl. Sein Gedicht fortschreitende räude 42 will die<br />
Schäden aufzeigen, die der Mensch am Wort verursacht hat. In insgesamt fünf Strophen wird<br />
dabei der Anfang des Johannesevangeliums 43 („Im Anfang war das Wort...“) sprachlich<br />
deformiert und entstellt – bis hin zur totalen Unkenntlichkeit der letzten Strophe, deren<br />
wiederum letzte Zeile nur mehr aus dem Wort „flottsch“ besteht. Jandl will damit den Prozess<br />
des Untergangs der Sprache nachzeichnen – jeder andere Text hätte ebenso gut als Folie<br />
dienen können. Doch gerade hier liegt die zentrale Aussage, denn nur die schrittweise<br />
36 Brandstetter, Alois: Überwindung der Blitzangst. Prosatexte. Salzburg: Residenz 1971, S. 104.<br />
37 Lk 2,41-52.<br />
38 Vgl. Schmidt-Dengler, Wendelin: Das Gebet in die Sprache nehmen, S. 53.<br />
39 Gruber, Reinhard P.: Aus dem Leben Hödlmosers. Ein steirischer Roman mit Regie. Mit Zeichnungen von<br />
Pepsch Gottscheber. Salzburg, <strong>Wien</strong>: Residenz 2004, S. 108.<br />
40 Handke, Peter: Die Begrüßung des Aufsichtsrats. Prosatexte. Salzburg: Residenz 1967, S. 123-124.<br />
41 Vgl. Schmidt-Dengler, Wendelin: Das Gebet in die Sprache nehmen, S. 54.<br />
42 Jandl, Ernst: fortschreitende räude. In: Siblewsky, Klaus (Hg.): Ernst Jandl. Gesammelte Werke. Erster Band.<br />
Gedichte 1. Darmstadt: Luchterhand 1985, S. 473.<br />
43 Joh 1,1.<br />
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