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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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glauben und den kirchenkritischen Autor gerade in seinen persönlichen Lebenserinnerungen<br />

religiös interpretieren.<br />

Augenscheinlich religiös sieht auch der Theologe Thomas Meurer Bernhards Autobiographie.<br />

Sein Beitrag <strong>für</strong> das Deutschlandradio Kultur vom 10.4.2009 – bezeichnenderweise ein<br />

Karfreitag – fasst dieses Verständnis zusammen. 128 Denn gleich im ersten Absatz wird<br />

Bernhard aufgrund der sein Werk durchziehenden Thematisierung von Krankheit und Tod als<br />

„Karfreitags-Schrifsteller“ tituliert, dem aber wegen seines „revolutionäre[n] Insistieren[s] auf<br />

einer Ansicht der Welt, wie sie wirklich ist“, auch „österliche“ Züge zugesprochen werden.<br />

Auch Meurer geht auf die Schöpfungsgeschichte ein. In Anlehnung an den Titel des dritten<br />

autobiographischen Bandes Der Atem wird eine Linie zum Atem als „zentrale[r] biblische[r]<br />

Metapher“ gezogen. Bei der Erschaffung des Menschen bläst Gott „in seine Nase den<br />

Lebensatem“ 129 , der Atem ist auch in der Begegnung Jesu mit seinen Jüngern zu Pfingsten 130 ,<br />

aber auch in der Schilderung des Kreuzestodes aller vier Evangelisten 131 präsent. Der Atem<br />

hat zu Beginn der Menschwerdung – sowohl im Sinne der körperlichen Erschaffung als auch<br />

in Bezug auf die Einhauchung von Geist und Seele – eine zentrale Bedeutung. Das Verfahren,<br />

Thomas Bernhard in Bezug zur Heiligen Schrift zu setzen, mutet auch Meurer merkwürdig<br />

an. Seinen kirchlichen Radiobeitrag rechtfertigend, verweist er einerseits auf die frühe,<br />

lyrische Phase Bernhards, die von tiefreligiösen Gedichten dominiert ist. Andererseits<br />

konzentriert sich Meurer auf die hinter Bernhards scharfer Kritik an der Welt (und letztlich<br />

also auch an der Kirche) stehende Intention. Bernhards Kritik sei ein Ausdruck, aus dem<br />

Elend der Welt ausbrechen zu wollen, „[s]eine Kritik lebt aus der Sehnsucht nach einer Welt,<br />

in der nicht soviel Traurigkeit ist“. Diese Schlussfolgerung rekurriert wiederum auf Meurers<br />

Anfangsthese: Bernhard sei in diesem Sinne sowohl karfreitäglich als eben auch österlich.<br />

Die Frage, ob Bernhards Autobiographie in ihrem Erzählduktus religiös geprägt ist, öffnet<br />

einen breiten Diskussionsspielraum. Die Gefahr einer Überinterpretation und religiösen<br />

Vereinnahmung ist in diesem Fall besonders hoch. Die Besprechung von Bernhards<br />

Autobiographie an einem Karfreitag im Deutschlandradio macht sich dahingehend verdächtig.<br />

128 Vgl. Meurer, Thomas: „Als ich geboren wurde, war noch nicht so viel Traurigkeit in der Welt.“ Der<br />

Schriftsteller Thomas Bernhard. http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/feiertag/946719/ (21.2.2012)<br />

129 Gen 2,7.<br />

130 Vgl. Joh 20,22.<br />

131 Vgl. Mt 27,50, Mk 15,37, Lk 23,46, Joh 19,30.<br />

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