DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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Charakterisierung des Begriffs verbunden sind. Eine solche wäre selbstverständlich<br />
wünschenswert, diese Arbeit versteht sich aber als in erster Linie literaturwissenschaftlich<br />
motiviert – theologische Fragestellungen und theologisches Hintergrundwissen haben<br />
natürlich themenbedingt einen gewichtigen Stellenwert, im Zentrum jedoch steht der Text. Da<br />
dieser ausschließlich katholische Elemente bereitstellt, kann beispielsweise eine Abgrenzung<br />
zum Protestantismus vernachlässigt werden, denn eine solche spielt <strong>für</strong> die Textinterpretation<br />
keine Rolle. Und so beeinflusst auch eine mehr oder weniger präzise Definition von<br />
Katholizismus die Auseinandersetzung mit dem literarischen Text nicht wesentlich. Dort wo<br />
sich katholische Momente zeigen oder herauslesen lassen, werden sie gebührend und auch<br />
theologisch fundiert analysiert.<br />
1.2. Thomas Bernhard – ein religiöser Schriftsteller?<br />
Da Thomas Bernhard im öffentlichen Bewusstsein wohl weniger die Rolle eines religiösen<br />
Schriftstellers einnimmt, in dieser Arbeit bislang jedoch auf katholische Elemente sowohl in<br />
der Autobiographie als auch im Gesamtwerk hingewiesen wurde, erscheint die im Titel<br />
formulierte Frage, wenn auch provokant, so doch in gewisser Weise gerechtfertigt. Man<br />
könnte sie ohne Weiteres entschieden negieren, denkt man an die vehemente Kritik an der<br />
katholischen Kirche, die sich seit den sechziger Jahren leitmotivisch durch Bernhards Werk<br />
zieht. In gewisser Weise ebenso richtig erweist sich die Beantwortung dieser Frage mit „ja“:<br />
Auch Bernhard zählt zu jener Riege österreichischer SchriftstellerInnen, die in ihrer Kindheit<br />
katholisch geprägt wurden und die sich seither durchgehend mit dem Katholizismus<br />
auseinandersetzen und in einer „nicht mehr aufzuhebende[n] Bindung“ mit ihm stehen. 5<br />
Stellt man die Gedichte im Band In hora mortis den massiven Anschuldigungen gegen die<br />
<strong>Institut</strong>ion Kirche, beispielsweise in Auslöschung, gegenüber, so möchte man nicht glauben,<br />
dass beide Aussagen aus der Feder ein und desselben Autors stammen. Thomas Bernhard hat<br />
in seiner literarischen Verarbeitung und Darstellung von Katholizismus und Glaube eine<br />
Entwicklung durchgemacht. Heinrich Schmidinger spricht von einem Weg, der vom „Anrufen<br />
Gottes zur Entlarvung oder Anprangerung eines >Götzen