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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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Was das Erzähler-Ich hier abstößt, soll im Verständnis der Gläubigen Hoffnung spenden, denn<br />

der Ritus sieht vor, die „brennende Osterkerze [...] zu Häupten des Leichnams“ zu stellen,<br />

„um die Hoffnung auf die Auferstehung in Christus zu versinnbilden und zu stärken. 214 Im<br />

Erzähler-Ich ruft der Geruch vollkommen konträre Assoziationen hervor und spielt auf die<br />

beginnende Verwesung des Toten an. Was Trost und Zuversicht vermitteln soll, wird vom<br />

Erzähler-Ich ins Negative verkehrt.<br />

Diesem Schema folgend wird an späterer Stelle auch die Taube, die in der christlichen<br />

Symbolik u.a. <strong>für</strong> die Versinnbildlichung des Heiligen Geistes steht 215 , in den Bereich des<br />

Todes katapultiert. Erneut ist es der süßliche Geruch, der dabei eine Rolle spielt:<br />

Manchmal erwachte ich mitten am Tage, wenn ich aus Erschöpfung eingenickt war,<br />

erschreckt von großen, fetten Tauben, die sich auf meiner Bettdecke niedergelassen hatten;<br />

ich haßte die Tauben, sie waren schmutzverklebt und verbreiteten einen süßlichen Geruch,<br />

und wenn sie aufflogen vor meinem Gesicht, wirbelten sie Staub auf, ich betrachtete sie als<br />

meine Todesboten. Auch mein Großvater hatte die Tauben gehaßt, er hatte sie als<br />

Krankheitsträger bezeichnet. (Kä 111)<br />

Anstatt Hoffnung und Frieden zu symbolisieren, überbringt die Taube den Tod. Dass dies kein<br />

Einzelfall ist, sondern sich quer durch die Bernhardsche Autobiographie zieht, zeigen bereits<br />

zuvor angeführte Textbeispiele: Weihrauchgeruch, Prozession, Monstranz und nun eben die<br />

Kerzen der Aufbahrung und die Wahrnehmung der Taube – sie alle folgen ein und demselben<br />

Schema. Die im Katholizismus intendierte Wirkung wird durch Assoziationen mit Tod,<br />

Verwesung und Krankheit ins Negative verkehrt. Sakrales und Krankheit werden miteinander<br />

verschränkt.<br />

Der Ablauf der Aufbahrung im ländlichen Gebiet, wie zuvor angeführt, erscheint durchaus<br />

authentisch, da hier tatsächlich eine „kenntnisreiche Zusammenfassung der Totenfeiern“<br />

angeführt wird, „wie sie bis weit in die 60er Jahre in der römisch-katholischen Kirche, und<br />

zwar besonders auf dem Lande begangen wurden“ 216 . Das Aufbahrungs- und Begräbnisritual<br />

setzt sich dabei aus vier zentralen Phasen zusammen, die in der eben zitierten Textstelle<br />

ebenfalls in korrekter Chronologie erwähnt werden: Der Aufbahrung im Haus des Toten folgt<br />

als zweite Station die Prozession zur Kirche, dort findet die Seelenmesse statt, bevor als letzte<br />

214 Adam, Adolf: Grundriss Liturgie, S. 233.<br />

215 Vgl. Koch, Klaus und Eckart Otto u.a. (Hg.): Das grosse Bibellexikon. Altes und Neues Testament. Tosa<br />

Verlag: <strong>Wien</strong> 2004, S. 510. Siehe auch: Mt. 3,16: „Kaum war Jesus getauft und aus dem Wasser gestiegen, da<br />

öffnete sich der Himmel, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube auf sich herabkommen.“<br />

216 Leonardy, Ernst: Totenrituale, S. 188.<br />

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